Claudio Abbado und die Hochämter der Musik

Ein Star macht sich rar: Claudio Abbado dirigiert nur noch selten und fast gar nicht mehr in den Weltzentren der Musik. Seinen Anhängern gilt er deshalb erst recht als Priester des Wahren, Guten und Schönen. Eine Hommage zum 80. Geburtstag. Von Manuel Brug

Motivator, Moderator und Diktator: 2002 legte er den Dirigentenstab in Berlin nieder.

Foto: picture alliance/ dpa Motivator, Moderator und Diktator: 2002 legte er den Dirigentenstab in Berlin nieder. Bild teilen

Verknappung führt zur Verteuerung der Ware. Und die wiederum zu besonderer Wertschätzung. Das ist ein sehr einfacher ökonomischer Grundsatz, der sich bisweilen wunderbar auf die Kunst übertragen lässt. Auch an dem Dirigenten Claudio Abbado, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, lässt sich diese Maxime einleuchtend nachvollziehen.

Seit er im Frühsommer 2002 seinen Abschied von den Berliner Philharmonikern zelebrierte und gleichzeitig den ihn auszehrenden, freilich sein weiteres Leben bestimmenden Magenkrebs überwunden hatte, begann er sich rar zu machen, noch rarer als vorher. Durch die Seltenheit seiner Auftritte aber wurde er seinen Fans noch teurer und kostbarer.

Wer heute eins seiner Konzerte erleben möchte, muss sich aufmachen, denn sie finden (zu) selten in den Weltzentren der klassischen Musik statt. Jenseits des längst traditionellen April/Mai-Termins bei den Berlinern, wo der alte, früher nicht nur beliebte Chef längst wie Gott empfangen wird, hört man Claudio Abbado meist in seiner Heimat Oberitalien mit seinen beiden Orchestergründungen Mahler Chamber Orchestra und dem nach wie vor von ihm abhängigen, in Bologna situierten Orchestra Mozart. Und dann gibt es natürlich die August-Daten beim exklusiven, vor zehn Jahren von ihm neu institutionalisierten Lucerne Festival Orchestra, dem sich in der Regel eine kurze Tournee anschließt, diesen Herbst nach Japan.

Am wichtigsten ist ihm die Inspiration des Augenblicks

Überall wird Claudio Abbado inzwischen empfangen als oberster Priester des Wahren, Schönen, Guten, seine Konzerte gleichen Hochämtern, hingerissene Anhänger delektieren sich an der bloßen Präsenz des Maestro, saugen ihm seine oft einfachen, immer gleichen Interview-Weisheiten förmlich von den Lippen. Dabei ist auch er nur ein Mensch, jenseits des Kults durchaus eitel, egoman, doch er versteht es, im entscheidenden Konzertmoment wirksam hinter der Musik zu verschwinden.

Das Paradoxe seiner Termine der letzten Dekade: Sie mögen vielleicht im Ergebnis gar nicht so einzigartig gewesen sein, obwohl zum Beispiel interessant ist, wie sehr gerade seine früher weichgezeichnet-harmonischen Mozart-Interpretationen mit den jungen, kleineren Ensembles tiefenschärfer, feinsinniger, dadurch spannender wurden, doch immer war da ein Moment des Besonderen. Einerseits, weil mit Claudio Abbado eine der großen, die Aufführungsgeschichte der letzten vierzig Jahre bestimmenden Dirigierpersönlichkeiten, ja -berühmtheiten am Pult stand. Aber auch, weil man bei ihm seither immer spürte: Jedes Konzert ist ihm wichtig.

Es geht Abbado längst nicht mehr um Demonstrationen, er setzt auch bei seinen Hörern Wissen und Verständnis voraus. Er interessiert sich immer stärker für Details, die Inspiration des durch Proben vorbereiteten Augenblicks, erzeugt durch ein unbedingtes, offenes Miteinander aller Mitwirkenden. Natürlich gibt er die Richtung vor, er ist Motivator, Moderator, auch Diktator, aber da ihm alle folgen mögen (bis auf die kürzlich aus einem Mozartprojekt spektakulär ausgestiegene Hélène Grimaux), führt dieses Wollen, dieses Einssein in der Regel zu konzentrierten Ergebnissen, die meist anders, intensiver, luzider, aber auch leichtgewichtiger im Klang sind als die anderer, stärker in der kräfte- und energiezehrenden Routine des globalen Musikbetriebs verfangener Dirigenten. Das mag vielen älter werdenden Pultstars so gehen, bei keinem bestimmt es gegenwärtig so die Aura.

Es kommt zu Momenten des Schwebens

Wenn Abbado in jüngerer Zeit der Oper zuwandte – Beethovens "Fidelio", Mozarts "Zauberflöte" –, dann waren seine Zugänge sehr durchdacht, aber trotzdem von einer ungewöhnlichen Eleganz und Delikatesse. So durchsichtig er als Person geworden ist, so schwerelos scheint auch sein sinfonischer Zugriff. Bruckner, Beethoven und Brahms erfahren durch Claudio Abbado heute Momente des Schwebens.

Dabei war der am 26. Juni 1933 geborene Claudio Abbado durchaus einmal ein junger Wilder, einer, der ungestüm seinen Weg ging aus dem kargen Nachkriegs-Mailand über die strenge, aber auch schöne Dirigentenschule bei Hans Swarowsky in Wien (wo er sogar mit Zubin Mehta im Chor sang) hin zu den prestigeträchtigsten Pulte der Welt. Er war auch einer, der nicht genug kriegen konnte, diverse Ämter sammelte; so wie es eben in der hektischen, produktiven Hochzeit der Klassik während der Siebziger- und Achtzigerjahre scheinbar problemlos möglich gewesen war.

Dieser Erfolg freilich hatte sein Fundament in einem strengen Arbeitsethos, das ihm die Eltern – beide waren Geigen- und Klavierlehrer, die immer auch die Kammermusik pflegten – vorgelebt hatten. Der junge Abbado begeisterte sich auch vehement für die linken, revolutionären Ideen seiner Zeit, in der Politik wie in der Musik, was sich in seinen bedeutenden Künstlerfreundschaften zu Luigi Nono und Maurizio Pollini am schönsten manifestierte. Gleichzeitig war und ist er ein herrlicher Rossini-Interpret, der hier schon früh auch die Erkenntnisse der Alte-Musik-Stilschule anwandte. Bis heute gültig sind einige seiner hervorragenden Verdi-Aufnahmen aus seiner Ära an der Mailänder Scala in den Jahren 1969 bis 1986.

Entscheidend ist die Freiheit des Spielens

Später verlagerte Claudio Abbado seine Tätigkeitsschwerpunkte nach London (als Chef des London Symphony Orchestra von 1979-88) und Wien (als Opernmusikchef 1886-91, wo er auch das Festival Wien modern gründete). Als er schließlich 1989 – für die meisten überraschend – zum Nachfolger des verstorbenen Herbert von Karajan bei den Berliner Philharmonikern gewählt wurde, veränderte er dort nicht nur den Geist des Orchesters, sondern auch seine eigene Haltung zur Musik.

Konzentration und Recherche waren jetzt die Leitgedanken, eine Freiheit des Spielens, die aus der Freiheit des Denken kommen musste; für die Autorität gewohnten Musiker nicht immer leicht. Es wurden 13 mitunter turbulente, aber auch beglückende Jahre, in denen Claudio Abbado zum Universalisten reifte, der seine vielfältigen Interessen im Bereich Literatur, Poesie, Film, Bildende Kunst in großen thematischen Zyklen durch das philharmonische Jahr aufleuchten ließ.

Es war keine durchweg harmonische Zeit, es gab Verjüngungen, Verstimmungen und Opfer, aber nach Abbado hatte dieses Orchester ein anderes Selbstverständnis gefunden. Man war (noch) selbstbewusster, aber auch sensibler geworden, man hörte stärker aufeinander. So ist es bis heute und ganz besonders, wenn Claudio Abbado am Pult steht. Möge es noch lange Jahre so bleiben.

Link: http://www.welt.de/kultur/musik/article117448952/Claudio-Abbado-und-die-Hochaemter-der-Musik.html