Claudio Abbado and Thomas Quasthoff , New York, Carnegie Hall, Oct.3 2001


Claudio Abbado stoppt die Auslieferung seiner Biografie (BZ, 2/11/2001)


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Bücher(2)
Berliner Zeitung, 2 November 2001

"Der Maestro war angeekelt"
Stardirigent Claudio Abbado stoppt die Auslieferung seiner Biografie

Sabine Deckwerth

Der Titel verheißt Harmonie - "Die Magie des Zusammenklangs". Es ist ein schöner Titel für ein Buch, zumal es sich um die Biografie eines der bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart handelt. Das Buch beschreibt das Leben und Wirken von Claudio Abbado, italienischer Stardirigent und seit zwölf Jahren Künstlerischer Leiter des Berliner Philharmonischen Orchesters. Es ist die erste und einzige Biografie, die es über Abbado gibt. Sie wurde auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober vorgestellt, geschrieben von einem Autor namens Christian Försch, Jahrgang 1968, der zuvor lediglich durch eine Art Berlin-Krimi in Erscheinung getreten war.
Anders als der Titel verheißt, ist die Biografie aber keineswegs harmonisch. Schärfer als von Försch sei Abbado wohl noch nie angegriffen worden, hieß es in einer Rezension. So klingt es beinahe wie eine Entschuldigung, wenn Försch im Nachwort schreibt: "Dirigenten werden vergöttert, und deshalb verlangt man Unfehlbarkeit."

Nun muss Försch die Erfahrung machen, dass jene Unfehlbarkeit auch von Biografen verlangt wird. Erst recht, wenn sie ein Buch schreiben und nie persönlich mit dem Mann gesprochen haben, dessen Leben sie auf 173 Seiten beleuchten. Försch hat nie mit Abbado gesprochen. Dafür war er durchaus fleißig. Er reimte sich Abbados Vergangenheit aus Archivrecherchen, Gesprächen mit Menschen aus dessen Umfeld und Besuchen bei Proben und Konzerten zusammen und meinte so genau zu wissen, wann den Maestro Angst oder Furcht überkamen, wann er sich verstanden und geliebt fühlte.

Weil der Stardirigent zweifelsohne eine Person der Zeitgeschichte ist, muss er sich Biografien gefallen lassen. Wenn sie denn stimmen. Und das ist bei Förschs Werk möglicherweise nicht immer der Fall. "Der Maestro war angeekelt, als das Buch auf den Markt kam", sagte gestern Abbados Anwalt Peter Raue vor dem Zivilgericht. Raue will erreichen, dass das Buch nicht mehr vertrieben werden darf. Försch schreibe "einen Unsinn", sagte Raue, "der das Maß des Erträglichen übersteigt".

Vor Gericht muss Raue den "Unsinn" begründen. Um einen ersten Fehler ging es am Donnerstag, wo Försch über Abbados Ernennung "zum leitenden Dirigenten der Mailänder Scala" schreibt. "Claudio", sagte Raue, sei damals aber gar nicht leitender Dirigent gewesen, "er war von Anfang an Musikdirektor". Und dieser Unterschied sei in seinem Fach erheblich.

Autor Försch erschien - mit Anzug und Krawatte - persönlich vor Gericht, obwohl er das nicht musste. Er ist nicht unbedingt ein Laie auf dem Gebiet der Musik. Er studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie, schrieb Hörspiele und war Dolmetscher bei bei Abbado-Produktionen. Er habe alle Kanäle in Bewegung gesetzt, um ein Interview mit Abbado zu bekommen, sagte er. Und fügte kleinlaut an: "Mir war klar, dass seine Verpflichtungen keinen Spielraum lassen." Förschs Anwalt Christian Schertz vermutete, Abbado habe nie ein Interesse an einem Gespräch gehabt, weil er selbst eine Biografie vorbereite. Der Autor, sagte Schertz, habe sich deshalb an "die Quellen gehalten, die vorlagen." So hätte das mit dem leitenden Dirigenten in zwei Musik-Lexika gestanden. Zum Beweis reichte er die Kopien über den Tisch.

Wahrscheinlich hatte Abbado den unbekannten Autor zunächst gar nicht ernst genommen. Es habe eine E-Mail von Försch mit der Bitte um ein Interview gegeben, sagte Anwalt Raue. "Aber auf so eine E-Mail würde selbst ein Dirigent aus Kleinkleckersdorf nicht antworten." Erst recht nicht der große Maestro, bei dem täglich 40 Interview-Anfragen eingingen.

Das Gericht hat am Donnerstag zu Gunsten von Abbado entschieden. Das Buch darf vorerst nicht weiter ausgeliefert werden: Weil der Maestro glaubhaft versicherte, dass er wirklich Musikdirektor war, wie der Richter sagte. Etwas ironisch schlug Abbados Anwalt vor, die betreffende Stelle im Buch zu schwärzen. Aber dann müssten 22 weitere Passagen ebenfalls geschwärzt werden, sagte Raue. So viele Fehler will er nämlich zusätzlich gefunden haben und in einem weiteren Verfahren noch zur Sprache bringen. So ginge es um das beschriebene Verhältnis Abbados zu seinem Vater oder um eine Beschreibung von Abbados Klavierübungen. Auf Seite 46 heißt es: "Da seine Hände relativ klein sind und er keine Dezimen spannen kann, soll er sich in den Ferien ein Holz zwischen die Finger geklemmt haben, um sie weiter zu spreizen". Raus Kommentar: "Stimmt nicht."

Besonders peinlich ist ein im Buch abgebildetes Foto, dass Abbado mit dem langjährigen Intendanten der Philharmonie Wolfgang Stresemann zeigt. In der Unterschrift wurde Wolfgang mit Gustav verwechselt. Der ehemalige Außenminister der Weimarer Republik starb aber schon 1929, vier Jahre vor Abbados Geburt.



Musik über Berlin

Die Übersetzung des Abbado's Buches "Musica sopra Berlino", ist in Deutschland neuerschienen. Wenn man etwas von Abbado's künstlerischen Konzepten wissen will, muß man so schnell wie möglich dieses Buch kaufen.

Claudio Abbado (im Gespäch mit Lidia Bramani )
Musik über Berlin,
Frankfurt 2001, Axel Dielmann Verlag
ISBN 3 929232 82 0