Wynton Marsalis und Claudio Abbado zusammen in Konzert.

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Claudio Abbado
und
Wynton Marsalis

Die Reaktion der Presse

Frankfurter Allgemeine Zeitung / Der Tagesspiegel

Zwei verschiedene Meinungen....

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.März


Extremschrammeln
Ein Berliner Wunschkonzert mit Abbado und Wynton Marsalis

Kostbar schimmernde Jazz-Perle (schwarz) groovt auf philharmonischem Podium, freundschaftlich eingefaßt von hochkarätig geschliffenen Musikdiamanten (weiß). Spielt streng nach Noten eigene Kompositionen, die allerdings eigenartig vertraut-geklaut klingen. Und folgt dabei kopfnickend den Anweisungen von Taktgeber Claudio Abbado. Ja, an diesem Abend ist Wynton Marsalis, Lieblingswatschenmann aller sauertöpfischen Puristen, offenbar genau dort angelangt, wo er hingehört: im Musikmuseum, Abteilung: Schatzkammer. Deckel drauf, Klappe zu, Affe tot.

Ganz so glatt lassen sich diese Jahrhundertkonzerte gottlob nicht wegbügeln. Tot? Keine Spur. Der Affe lebt, er kriegte sogar jede Menge Zucker. "Warum muß immer alles neu sein?" hat Megastar Marsalis einmal in einem seiner täglichen Interviews gefragt und selbst gleich die einzig klassische Antwort darauf gegeben: "Manche Dinge sind es wert, wiederholt zu werden." Der "Ragtime for eleven Instruments" von Igor Strawinsky liefert dazu einen schlagenden Beweis.

1918 komponiert, mega-museumsreif. 1962 von Strawinsky persönlich und exemplarisch mit dem Columbia Chamber Ensemble eingesargt auf Schallplatte für die CBS. Und nun, vorgestern, anno 2001: wiederbelebt und zum Springen, Swingen und Leuchten gebracht unter Abbados Stabführung. Unwiderstehlich scharf gestochen der Ton des Cimbalons, der auch die übrigen zehn Instrumente, Streicher wie Bläser, zu einer durchaus hackbrettartigen Lakonie im Herausspucken ihrer Synkopenorgien aufstachelt. Ausgewählte Solisten der Philharmoniker (BphO) spielten, in bunter Reihe durchwachsen von Mitgliedern des Marsalisschen Jazzorchesters (LCJO). Das kurze "Preludium for Jazzband", kasernentontrocken beginnend mit Trommelwirbel und Trompetensignal, fördert wie ein neoklassizistischer Fächer von Falte zu Falte, von Takt zu Takt, neue Stilparaphrasen zutage: Zärtlich verhaucht das arkadische Echo auf der Celesta Majella Stockhausens (BphO), kopfüber verknäulen sich Manfred Preis (BphO) und Ted Nash (LCYO) zu einem winzigen Duettduell für zwei Altsaxophone. Es dauert zwar nur wenige Augenblicke - Strawinsky, der Sparsame, hat keine Note zuviel komponiert. Und doch holen diese begnadeten Musiker, jeder von seinem Stern, bereits aus jeder Ahnung eines Tons stillen Glanz und Schönheit für die Ewigkeit heraus. Husch, schon ist sie vorbei.

In der Catfish-Row-Suite von George Gershwin dagegen feuert das Orchester wieder aus allen philharmonischen Rohren. Es handelt sich hier bereits um konzertsaalkompatibel aufgearbeiteten Breitwandjazz inklusive Schlagerzucker und Opernsahne, unbedingt mitreißend und mehrheitsfähig: Musik, wie gemacht für das Wunschkonzert - ein Wert, unbedingt zu wiederholen. Wer das Stück allerdings einmal in dieser raffinierten, flaumweichen Leichtigkeit von Abbados Philharmonikern gespielt hörte, wünscht sich natürlich, nur die dürften es fürderhin spielen und allen anderen Stümpern sei das in Zukunft verboten. Zum Entzücken versonnen legt etwa der neue erste Kapellmeister, Guy Braunstein, sein "Summertime"-Solo an, auf jenem dünnen Seil balancierend zwischen Weh und Kitsch, von dem so viele andere abzustürzen pflegen: Süß und traurig muß es klingen, soll aber niemals klebrig werden. Im zweiten Teil des Konzertes baut sich dann bedrohlich ein mehr als hundertköpfiger Chor aus diversen Berliner Jazzformationen hinter den vereinigten, schwarz- weißen Spitzenorchestern auf und schnippt mit den Fingern in froher Selbstbegeisterung.

Es popt und gospelt, gershwint und orfft, ohne Komma und Punkt. Wynton Marsalis hat sein jazzenzyklopädisches Riesenoratorium "All Rise" zum Milleniumswechsel für seine eigene Band plus die New Yorker Philharmoniker komponiert, es wurde weiland uraufgeführt unter Kurt Masur. Mit sieben aus zwölf Sätzen hat das Philharmonische Orchester schon mehr als alle Hände voll zu tun. Eine alte Westerneisenbahn schnauft durch die Reihen. Ein religiöser Taumel erfaßt den Sprüche skandierenden Chor. Posaunen dröhnen, Oboen quieken, die unermüdlich schrammelnden Streicher verschwinden in minimalistischen Endlosschleifen hinter einem buntgescheckten Bigband-Horizont. Aber auch glänzende Soli erheben sich aus den motorisch dahinrasenden Tutti: Einmal wütet Herlin Riley auf dem Schlagzeug, ein ums andere Mal läßt Marsalis seine wundertätige Trompete sprechen. Am Abend zuvor hatte er mit dem Lincoln Center Jazz Orchestra an gleicher Stelle sein diesjähriges Tourneeprogramm abgeliefert: virtuos gespielter, mit feinsten dynamischen Nuancen aufpolierter Altmännerjazz von Armstrong bis Monk, immergrün, ewigjung. Geleckt und kommerziell mögen höchstens einige nette Showelemente anmuten, die indes für amerikanische Verhältnisse mehr als dezent ausfallen.

Für Marsalis und seine Mannen bedeuten die drei Extrakonzerte mit Abbado und den Seinen jedenfalls keinen Schritt vom Wege. Für die Philharmoniker allerdings war es nach dem letzten, sommerlichen Weltausstellungsfehltritt mit den Scorpions zum ersten Male wieder ein Cross-over-Projekt. In dieser Perfektion: bitte mehr davon. Und Maestro Abbado, der Genesende, nach Abschluß seiner Beethoven-Tournee, die einem persönlichen Comeback gleichkam, genießt nun die sichtlich entspannte Note des Abends wie einen ersten Urlaubstag.

Aufgeräumt applaudiert er den virtuosen Abenteuern des teuren Gastes zu und hockt sich bei dessen letzter Zugabe - "embraceable you" - wie ein Kind auf den blanken Boden, mitten zwischen seine zweiten Geigen.

ELEONORE BÜNING.

Tagesspiegel, 7.März

Jazz-Ansichten

Ensemble in Ketten

Wynton Marsalis swingt in der Berliner Philharmonie

Ulrich Amling

Wynton Marsalis versteht keinen Spaß. Kein Wunder, wimmelt es auf der Welt doch nur so von Musikern, die den Jazz als die große schwarze Kunst verwässern. Dann legt Marsalis die Trompete bei Seite und stößt kräftig ins verbale Horn: Miles Davis sei ein Verräter, ein Waldheim des Jazz, tönt es aus dem Schrein des New Yorker Lincoln Centers, wo Marsalis an einem mehrheitsfähigen Jazz bastelt. Das hat ihn zu einem der einflussreichsten Männer der USA werden lassen. Seine Versuche, ein Genre unter Kontrolle zu bekommen, wurden mit zahlreichen Ehrendoktorwürden belohnt - und erbitterten Feindschaften in Jazz-Kreisen.

Seine Jazz-Sicht hat Marsalis nun mit zwei Programmen in der Philharmonie dargelegt. Mit dem Lincoln Center Jazz Orchester durchwandelte er "Armstrong & beyond" und beschritt mit 14 wunderbaren Musikern Wege zum Kern seines Glaubens: "Swing that music", so die Parole. Nebenbei bietet die Show von Bandleader Marsalis folkloristische Rudimente, etwa einen Beerdigungszug à la Satchmo, scheinbar spontane Zwischenrufe und den Baumwollpflückerschritt, mit dem der 39-Jährige über die Bühne schlurft. Zitate einer ruhmreichen Zeit, in der Musik und Energie noch eins waren, mit kalter Professionalität ausgestellt. Stolz ohne Spaß. Und ein Ensemble in Ketten. Denn so genau sie ihren Notentext auch spielen, so sehr jeder Musiker eine eigene Persönlichkeit erahnen lässt, zu Höchstleistungen inspiriert Marsalis seine Mannen nicht. Für wen Jazz aber ein Begriff ist, der für Fähigkeit steht, Grenzen zu überschreiten, der langweilt sich bald. Wurzelkundige Weltmusik-Fans sowieso. Um seinen Jazz als "Klassik" zu etablieren, will Marsalis kein Zeitgenosse mehr sein. Eines langen Abends Reise in die Dunkelheit der Musikarchive...

Der zweite Auftritt brachte Marsalis' Orchester in Berührung mit den Philharmonikern, die unter Leitung eines locker zur Tat springenden Claudio Abbado zunächst Klassiker mit Jazz-Idiom präsentierten. Leider stimmte die Reihenfolge weder mit dem Programm noch mit den verteilten Korrektur-Zettelchen überein, so dass sich beim Pausen-Bier das Gerücht hielt, Gershwins "Catfish Row" sei der Tahiti-Trott von Schostakowitsch gewesen. So recht in Schwung waren die Philharmoniker ohnehin nicht gekommen: Die Strawinsky-Stücke blieben zu weich in der Konsistenz, während Gershwin nicht fließend genug gespielt wurde, Schostakowitsch lag harmlos schaukelnd irgendwo dazwischen.

Nach der Pause füllten Jazzer, Philharmoniker und die Vocal Jazz Connection das Podium, um Wynton Marsalis als Komponisten zu würdigen. Seine sieben Sätze aus dem Monumentalwerk "All Rise" liefern Jazz für ein Publikum, das halb verlegen, halb verwegen um sich schaut, wenn es mal kurz swingt, und die Bässe bollern. Ein Glück, dass dieser Verschwörer-Effekt funktioniert. Kitschige Gospelchöre werden so zu berührenden Erlebnissen, Musizieren in altbekannten Rollenverteilungen zum erfolgreichen Crossover. Der Charme eines Gershwin, die Eleganz eines Ellington hat Marsalis aus seinem Klassikerbild verbannt. Was bleibt, sind spröde Belehrungen. Als Nigel Kennedy mit den Philharmonikern Bach spielte, herrschte mehr Interaktion auf der Bühne, mehr Vertrauen und Respekt, mehr Lust am Spiel. "Nichts darf dich langweilen - kein einziger Ton", sagte Louis Armstrong. Vielleicht sollte Marsalis, der coole Missionar, einmal mehr auf die Geister hören, in deren Namen er predigt.


Noch einmal heute um 20 Uhr. Eine Aufzeichnung des Konzerts sendet Radio Kultur am 19. März um 20 Uhr.