Foto
Cordula Groth

ABBADO UND DIE PRESSE

 Märkische Allgemeine
8 Mai 2004

Frank Martin
Sechs Monologe aus »Jedermann« in der Fassung für Bariton und Orchester
(1949)

Thomas Quasthoff, Bariton

Gustav Mahler
Symphonie n°6

Berliner Philharmoniker
CLAUDIO ABBADO

f

















































 


Alte Liebe

Claudio Abbados MaerkischeAllgemeine.html Comeback am Pult der Berliner Philharmoniker

OLAF WILHELMER

Berlin hat ihn wieder: Gut zwei Jahre nach seinem freiwilligen Rücktritt dirigierte Claudio Abbado nun als Gast jenes Orchester, dessen Geschicke er einst leitete. Inzwischen haben sich die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle in ein moderne-res, flexibleres Instrument verwandelt, aber die Liebe zu ihrem Claudio scheint die alte geblieben zu sein. Jedenfalls wirkten die in Maximalstärke aufspielenden Philharmoniker selbst ganz davon bewegt, was sie in Gustav Mahlers 6. Sinfonie zustande gebracht hatten.

Man kann es ihnen nachfühlen, denn der frischer und energischer denn je auftretende Abbado - seine 70 Jahre und die Überwindung einer schweren Krankheit sieht man ihm nicht an - führte die Gottbegnadeten wieder in ungeahnte Höhen. Wie er das hinbekommt, bleibt jenseits der Erklärbarkeit. Abbado kümmert sich kaum um die in Mahlers Sechster gern empfundene Tragik, zeigt das 80-Minuten-Werk eher als abstraktes Bild formalen Zerfalls. Das tat Boulez vor zwei Jahren in Berlin auch, doch mit größerem Interesse an Mahlers krachmoderner Blockhaftigkeit. Abbados Spezialität dagegen - große Linie bei sagenhafter Binnendifferenzierung - arbeitete dem romanhaften Gestus des Werks zu: mit dem Atem Dostojewskis und der ins Leere laufenden Gebrochenheit Kafkas.

Was sein gleichwohl kammermusikalischer Zugriff an bisher Ungehörtem offenbarte, kann hier nicht aufgezählt werden; entscheidend war die Lenkung der Orchestersolisten zueinander hin und nicht zum Dirigierstab. So konnte anfangs auch Thomas Quasthoff in Frank Martins "Jedermann"-Monologen auf eine feinsinnig ausgehörte Begleitung zählen. Künftig will Abbado einmal im Jahr nach Berlin zurückkehren, und gleich nächste Saison wieder seinen Lieblingsprogrammtyp (Mahler plus Klassiker der Moderne) präsentieren. Wer wissen will, warum es jetzt Ovationen und Blumen regnete, sollte den Konzertmitschnitt in DeutschlandRadio (11. Juni, 20.03 Uhr) nicht verpassen.