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Zum ersten Mal inszeniert Peter Stein in Salzburg Oper, für die vorletzten Osterfestspiele Claudio Abbados. Noch vor wenigen Jahren wäre seine Inszenierung von Verdis Simon Boccanegra auch im Programm der sommerlichen Festspiele gelandet, doch beide, Peter Stein wie Claudio Abbado, haben sich mit Gérard Mortier gründlich verkracht. Der Chef der Berliner Philharmoniker, dem nächstes Jahr Sir Simon Rattle folgt, hat alle seine Dirigate im Sommer abgesagt und sich einen neuen Partner gesucht, den Florentiner Maggio Musicale. Mit nur zwei Vorstellungen bliebe Steins Neuinszenierung reiner Luxus. Verdi hat Simon Boccanegra - 1857 entstanden - 1881 überarbeitet, mithilfe seines bevorzugten Librettisten, Arrigo Boito. Doch die Oper ist nie richtig populär geworden. Die mäanderhafte Handlung kann man nur schwer nachvollziehen. Der Doge von Genua, der erste, der die Macht nicht geerbt hat, sondern von der Bevölkerung gewählt wurde, erfährt im Augenblick seines Triumphs, das seine Geliebte, aus dem Adelsgeschlecht der Fieschi, tot ist. Ihr Vater fordert das Kind aus der Liebesbeziehung ein, doch das Mädchen wurde entführt. Jacopo Fiesco schwört ewige Feindschaft und verlässt Genua. Fünfundzwanzig Jahre später hebt Simon Boccanegra die Verbannung auf, in die er seine aristokratischen Gegner, die Grimaldis, geschickt hat, weil er Amelia Grimaldi für Paolo Albiani gewinnen will, den Mann, dem er den seinerzeitigen Sieg in den Wahlen verdankt. Doch Amelia liebt den Adeligen Gabriele Adorno, und bevor alles ins Reine kommt, vergehen drei Akte, in denen Verdi vom Zuhörer Empathie mit den Figuren einfordert, ihn jedoch einem Wechselbad von Gefühlen aussetzt. Feind wird Freund, der Verbündete zum Gegner. Immer wieder freilich setzt Verdi auch eine Haltung in Musik um, die das Auf und Ab der Gefühle ausgleicht. Er zeichnet Boccanegra als idealtypischen Herrscher, der klug und besonnen menschlichen wie politischen Ausgleich sucht. Zwar rottet sich das Volk revoltierend auf den Straßen zusammen, doch in die Handlung greift es nicht ein und bleibt im Grund Staffage. Die Dimensionen der Breitbühne im großen Salzburger Festspielhaus sind jedes Mal eine Herausforderung, und der Bühnenbildner Stefan Mayer begegnet ihr mit einer visuellen Vielfalt, die von der Abstraktion bis zur konkreten Repräsentationsarchitektur, von der Licht-Illusion bis zur handfesten Kulisse reicht. Gleich zu Beginn schieben sich virtuelle Säulensäle auseinander und geben den Blick frei auf die graue, düstere Fassade eines Palastes. Mit einem sicheren Gespür für Proportionen leistet sich Mayer auch minimalistische Bilder, ein simpler Stuhl als Herrscherthron auf einem Podest vor einer hohen Lichtwand in der Mitte der Bühne signalisiert die Situation der Einsamkeit des Dogen. Ein schwarzer Raum verwandelt sich, wenn durch die sechs schmalen Türen nüchtern graues Tageslicht einfällt, in ein Gefängnis, von innen mit roten Lichtbalken beleuchtet und gegliedert, in einen eleganten Art-Deco-Salon. Dann wieder ist die Breitbühne leer, der Rundhorizont verschwindet im dichten Nebel, in dem nur flackernde Fackeln Boccanegras Gegner markieren, die sich zu einer Versammlung begeben. Der Nebel lichtet sich, der Rundhorizont gibt den Blick frei auf die Unendlichkeit der graugrün wogenden See. Die Farbigkeit der historisierenden Kostüme Moidele Bickels hilft, die Personen wie auch die politischen Fraktionen zu unterscheiden, ein wichtiger Faktor der Orientierung. Peter Stein verzichtet auf jede Aktualisierung in der weisen Einsicht, dass keine noch so ausgeklügelte Regieidee die Handlung einsichtiger, plausibler machen könnte. Er stimmt den Duktus seiner Inszenierung ganz auf die Musik ein, begleitet sie in der Darsteller-, der Chor- und Statistenführung kontrapunktisch. Er handhabt die Konventionen der Opernregie makellos. Die Massenszenen wirken lebendig, ohne dass jeder einzelne Statist oder Chorist individuelle Aktion markieren muss, jede Figur bekommt durch Nuancen der Körpersprache eine eigene Identität. Im nächsten Jahr verabschiedet sich Claudio Abbado als Leiter der Osterfestspiele mit einem Falstaff. Das wird dann, nach dem Otelo von 1996 die dritte Verdi-Oper sein, die er mit den Berliner Philharmonikern erarbeitet hat. Die Berliner, die ja nur bei den Salzburger Osterfestspielen, allerdings seit mehr als 30 Jahren, als Opern-Orchester auftreten, zeigen in Abbados Einstudierung von Simon Boccanegra, wie perfekt sie den Verdi-Klang meistern, geschmeidig, transparent, mit dem richtigen Quantum an Italianitá in den Tempi, mit triumphalen Glanz, aber auch mit einem Hauch von Trauer. In der Besetzung war Roberto Alagna als Gabriele Adorno im Vergleich zu Carlo Guelfi in der Titelrolle, Julian Konstantinov als Fiesco, Lucio Gallo als Paolo Albiani, etwas enttäuschend. Karita Mattila als Amelia überstrahlte sie alle. In Salzburg ist zumindest zu Ostern die Opernwelt heil wie vielleicht nur noch in Italien, und der Jubel des Premierenpublikums war entsprechend. Wiederholung am 24. April |
DER STANDARD Verdis "Simon Boccanegra" eröffnete die Salzburger Osterfestspiele |
Stuttgarter Nachrichten, 19/04/2000 Verdis ¸¸Simon Boccanegra'' bei den Osterfestspielen Salzburg
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Salzburger Nachrichten, 17/04/2000 Wie ein schönes altes Gemälde KARL HARB
Stein ist inzwischen - was die szenische Fantasie betrifft - sicherlich bescheidener geworden. Er verteidigt einen ganz und gar altmodischen Begriff von Theater im Allgemeinen, von Oper im Besonderen. Den Tenor, beispielsweise, lässt er Tenor sein: Roberto Alagna, der junge Star, ist sich auch selbst genug. Er singt den Gabriele Adorno draufgängerisch und blendend und immer in der Haltung, die man einem Tenor gemeinhin zubilligt. Nur seine große Arie im 2. Akt, vor rotem Vorhang, geriet dann doch noch ein wenig ausdrucksschmal.
Carlo Guelfi, Sing-Schauspieler im besten Sinne, ist ein stattlicher Simon, ein würdiges politisches Haupt mit tragischer privater Geschichte. Mit seinem Widersacher, Fiesco, söhnt er sich - natürlich wieder auf leerer Bühne! - erst nach langen Irrungen und Wirrungen aus. Julian Konstantinov, ein junger, substanzreicher, zugleich aber auch sehr flexibel anmutender schwarzer Bass, ist da glaubwürdig der alte Mann - und Carlo Guelfi in feiner Balance ebenbürtig.
Jede Stimmung ist präzise kalkuliert, jeder Ausbruch exakt bemessen und gesteuert (mitunter auch knallig effektvoll und ganz auf Panoramawirkung hin angelegt). Aber das Klangrelief, das Abbado mit den großartigen Berliner Philharmonikern aus dem Graben hebt, ist jederzeit plastisch durchgestaltet, überraschend modern in vielen Details. Es kennt das klare Maß und die Balance von Bewegung und "Stille", von Ausbruch und Zurücknahme. |
Wiener Zeitung, 17/04/2000 Osterfestspiele Salzburg: Premiere von "Simon Boccanegra"
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Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Montag, 17.04.2000 Nr.91 29
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Die Welt, 17/04/2000 Hochmanieriert, musikalisch das Höchste: "Simon Boccanegra" von Abbado/Stein bei den Salzburger Osterspielen Nicht ohne seine Verdi-Tochter Von Manuel Brug Blechattacken, Kontrabassschläge. Giuseppe Verdis mit Arrigo Boito umgearbeiteter, deshalb so merkwürdig zwischen den Gesangsopernzeiten von 1857 bis 1881 stehender "Simon Boccanegra" ist das Unding eines Belcantodramas. Musik nicht als Sedativum, wohlig arioses Frohlocken zulassend, sondern als Schmier- und Aufputschmittel für ein hart geschnittenes, Jahrzehnte überspringendes Drama um einen zum Politiker gewendeten Korsaren, eine tote Geliebte, deren hassenden Vater, beider entschwundene Tochter und Enkelin, deren kindisch aufständischen Liebhaber und einen altbösen Verräter. Niemand weiß was, ständig wird enttarnt, enthüllt, aufgedeckt, intrigiert, vergiftet. Eine Dramaturgie der beständigen Überraschung, vorangepeitscht durch eine Musik, die schnell und unverblümt zur Sache kommt, den dunklen Ton liebt, selten auf- und ausblüht, immer schon der Handlung vorauseilt, am liebsten die verschiedenen Erzählstränge in alle Bühnengesetze negierender Gleichzeitigkeit auffächern will. |
Sueddeutsche Zeitung, 17 aprile 2000 Schwarz ist schwarz
Eduard Hanslick, der unversöhnliche Wiener Musikkritiker, hat es schon immer gewusst. Unter den verschiedenartigen schädlichen Operntexten," schrieb er, als Giuseppe Verdis ,Simon Boccanegra' 1882 erstmals in Wien auf die Bretter fand, sind die unverständlichen, verworrenen fast noch nachteiliger als für die musikalische Wirkung, als die einfach langweiligen." Damit war der Stab gebrochen über die Oper, als Ganzes, denn Hanslicks Urteil würde auf so ziemlich jede Oper seit Jacopo Peris ersten Versuchen mit dieser Gattung gelten. Deshalb könnte man kontern: je wirrer ein Text, desto tauglicher für eine Veroperung. |
Financial Arial Deutschland 20.April 2000 Götterbote im Orchestergraben Die künstlerische Zukunft der Salzburger von Dagmar Zurek Was die Nation 1998 erregte: Claudio Abbado Grabenkämpfe 1999 wurde den Osterfestspielen nach "jahrelangen Fliegende Anne-Sophie Mutter Im Dezember letzten Jahres hob Abbado mit den Berliner |
c-Moll Messe Konzert:
Neue Kronen Zeitung / 19.April 2000 Aller Wucht beraubt Osterfestspiele Salzburg: Claudio Abbado Der Applaus des an sich nicht jubelgeizigen Publikums der Salzburger Osterfestspiele blieb unterkühlt bis an die Grenze zur Unhöflichkeit: Claudio Abbado hinterließ mit den Berliner Philharmonikern und Mozarts c-Moll- Messe (in der Rekonstruktion und Ergänzung von Helmut Eder) keinen wirklich nachhaltig berührenden Eindruck. Der Grund dafür liegt wohl in Claudio Abbados prinzipieller Interpretationshaltung der c-Moll-Messe (KV 427) gegenüber: Er vermeidet Pracht und Prunk der Bilder und verweigert weitgehend Leidenschaft und Feuer. Und er setzt nicht auf die gewaltige und anrührende Wirkung der Monumentaltität, sondern ist durchwegs bestrebt, die feingliedrigen Strukturen und Verästelungen zu modellieren und hervorzuheben. Claudio Abbados Wunsch nach filigraner, aller Wucht beraubten Größe wird zudem getragen von einem trockenen, unspektakulären Farbauftrag. Sehnsucht, Hoffnung und Herrlichkeit bleiben in ihrer Anspruchskraft eher verhalten und bescheiden. Adäquate Unterstützung kam von den Solisten: Christine Schäfer (mit stolz gezeigtem Baby-Bäuchlein), Stella Doufexis, Rainer Trost und Andreas Schmidt. HL |