ABBADO UND MEDIEN

DER TAGESSPIEGEL
17.August 2003


14. August
19.30 Uhr

Wagner: Die Walküre
Wotan'Abschied und Schlussszene
Debussy:  Le Martyre de Saint Sébastien, suite
Debussy: La Mer,
trois esquisses symphoniques

Bryn Terfel
Rachel Harnisch
Eteri Gvazava

Schweizer Kammerchor
Lucerne Festival Orchestra

CLAUDIO ABBADO
















































































































































































 


herum...

Das Wunder von Luzern

Auf Toscaninis Spuren: Claudio Abbado debütiert am Vierwaldstättersee mit dem besten Orchester der Welt

Von Frederik Hanssen

Am Löwenplatz in Luzern, gleich um die Ecke vom Gletschergarten gibt es ein Restaurant mit dem Namen „Old Swiss“, das ziemlich verdächtig nach Touristenfalle aussieht – und seine Fassade doch mit liebevoll angepinselten Goethe-Zitaten schmückt: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Ein Spruch, wie gemacht als Motto für den Start des Lucerne Festivals 2003. Im futuristischen Kultur- und Kongresszentrum, das der Architekt Jean Nouvel vor drei Jahren so genial gegen das Puppenstubenhafte der Stadt setzte, hatte sich nämlich die Crème des alten Musikeuropa versammelt, eine Vereinigung allerfeinster Instrumentalisten. Michael Haefliger, der Intendant des renommiertesten Schweizer Festivals, und Claudio Abbado hatten die Klassikspezialisten aus allen Ecken des Kontinents zusammengetrommelt.

Meisterwerke der Heroen der zentraleuropäischen Orchesterkultur will Abbado in diesem und den kommenden Sommern mit dem besten Orchester der Welt einstudieren – weil das „erwirb es, um es zu besitzen“ nie aufhört und weil die ganz großen Dirigenten mit zunehmendem Alter immer kritischer sich selbst gegenüber werden und gerade jene Partituren, die sie am besten zu kennen meinen, wieder und wieder studieren – mit der Sehnsucht, vielleicht doch noch bis zur letzten Wahrheit vorzustoßen, das Erbe der Väter in Empfang nehmen zu können. Wobei es im Fall von Claudio Abbado eher der geistige Nachlass des Großvaters ist, dem er sich anzunähern sucht. Sein padre (ein Musiker) hat ihn zur Selbstdisziplin erzogen, der nonno aber sprach zu ihm von der Neugier auf das Fremde (er war Sprachwissenschaftler), von den Welten, die jenseits des Bekannten liegen. Der Großvater hat dem kleinen Claudio das Bedürfnis des lebenslangen Dazulernens mitgegeben.

Darum hat sich der Maestro kurz nach seinem 70. Geburtstag noch einmal aufgemacht, hat seine musikalischen Weggefährten gefragt, ob sie nicht Lust hätten, in dem neu zu gründenden Lucerne Festival Orchestra mitzuspielen. Vorbild soll jene Elitetruppe sein, die Arturo Toscanini im August 1938 ad hoc für ein Galakonzert im Garten der Villa Tribschen zusammenstellte, jenem Refugium am See, das Richard Wagner von 1866 bis 1872 bewohnt hatte. Dieses Ensemble wurde zur Keimzelle des Schweizer Festspielorchesters, das bis 1993 bestand, und bei dem auch der blutjunge Claudio Abbado 1966 mit sensationellem Erfolg debütierte.

Der Traum vom Fliegen

Seit 37 Jahren ist der Dirigent Luzern verbunden, 40 Abende hat er mit dem Festivalorchester bestritten, außerdem kam er mit allen „seinen“ Orchestern, von der Mailänder Scala bis zu den Berliner Philharmonikern, vom European Community Youth Orchestra, das er 1978 gegründet hatte, bis zum (ebenfalls von ihm initiierten) Gustav Mahler Jugendorchester. Nun also hat sich der Maestro ein eigenes Ensemble geschaffen, mit dem er Toscaninis Schweizer Truppe auf europäischer Ebene weiterdenkt: Damals bildete das Orchestre de la Suisse Romande den Kern, heute ist es das exzellente Mahler Chamber Orchestra. Damals saßen die Musiker des Busch-Quartetts unter den Streichern, heute ist es das Hagen-Quartett. Damals waren die Stimmführer der Schweizer Sinfonieorchester mit von der Partie, heute liest sich die Liste wie das Who is who des Klassikbusiness: Da sind alte Bekannte von den Berliner und Wiener Philharmonikern, aber auch die anderen Spitzenorchester sind vertreten. International gefragte Solisten wie Kolja Blacher und Natalia Gutman, Sabine Meyer und Reinhold Friedrich, Wolfram Christ und Diemut Poppen haben sich aus Freundschaft zu Abbado und aus Neugier auf das Projekt eingereiht, sitzen Pult an Pult mit jungen Musikern, die gerade erst die Hochschule hinter sich haben.

Denn ein graumeliertes allstar orchestra, schwebte Abbado niemals vor, im Gegenteil: Er wollte die positiven Erfahrungen, die er mit Jugendorchestern gemacht hat, auf die „Erwachsenenorchester“ übertragen. „Zusammenkommen, um gemeinsam Musik zu machen“ lautet das Credo des Italieners. Was leicht naiv klingen könnte, ist in Wahrheit der Traum, Kunstroutine zu vermeiden. Abbado schätzt Musiker, die mitdenken und die Verantwortung für das Gelingen des Abends nicht einfach an den großen Zampano delegieren. Von Jugendorchestern, die nur konzentrierte Arbeitsphasen in immer neuer Besetzung kennen, bekomme er immer am allermeisten zurück, betont Abbado oft: „Sie vertrauen mir absolut. Wenn ich sage, wir fliegen, dann fliegen wir.“

Die Stille nach dem Schluss

Und geflogen ist auch das Lucerne Festival Orchestra am Donnerstag. Denn das Experiment hat tatsächlich funktioniert. In nur neun Probentagen sind aus Konkurrenten (zu denen die Profis unter den Bedingungen des Musikmarkts zwangläufig werden) Vertraute geworden. Zuerst ist der Flügelschlag noch etwas unsicher, die Finalszene mit dem Feuerzauber aus Wagners „Walküre“ züngelt vorsichtig auf, auch weil der Monolog des Wotan Bryn Terfel an stimmliche Grenzen führt. Doch schon hier wird klar, in welche Richtung es gehen wird, wenn in der Liebeserklärung des Göttervaters zu Brünnhilde plötzlich der Klang eine ungeheure Tiefe bekommt, wenn sich der Raum weitet und den Blick freigibt auf einen in abendliche Pianissimo-Farben getauchten Horizont. Lange, sehr lange lässt Abbado den letzten Akkord stehen, mehrere Sekunden hält danach auch das Auditorium die Stille aus, die dem Dirigenten nach solchen todestrunkenen Schlüssen so wichtig ist.

Spätestens mit Debussys „Martyre de Saint Sébastien“ wird dann klar, was für ein Luxus dieser Abend ist. Nicht nur der Tatsache wegen, dass dieses einmalige Orchester nur in Luzern zu erleben ist, weil sich Abbado schon gesundheitlich nicht in der Lage sieht, Tourneen zu absolvieren. So eine Exklusivität erkauft man sich, wenn man, wie das Lucerne Festival, über reichlich Sponsoren verfügt und für ein „concert de gala“ zwischen 90 und 269 Euro pro Ticket verlangen kann. Der wahre Luxus aber ist unbezahlbar, denn er liegt in der Geisteshaltung der Beteiligten: Es ist diese kammermusikalische Haltung des Einander-Zuhörens und Aufeinander-Reagierens. Als säßen lauter Lyriker beieinander, die so hellhörig sind, dass jeder den individuellen Duktus beibehalten kann und am Schluss doch ein gemeinsames Gedicht herauskommt. Allein dadurch kann ein so feines Gespinst der instrumentalen Linien entstehen wie in der 1911 entstandenen Bühnenmusik zu Gabriele d'Annunzios Mysterienspiel vom Heiligen Sebastian. Abbado betont in der eigenhändig zusammengestellten Suite das Archaische, dirigiert so konturenklar und zugleich sphärisch, dass man sich d'Annunzios schwüles Pathos-Parlando dazu kaum vorzustellen vermag.

Trotz der aufgebotenen Delikatesse bleibt der „Sébastien“ dennoch ein Nebenwerk im Schaffen des französischen Komponisten, das macht Abbado selber deutlich, wenn er Debussys vielleicht bestes Stück „La mer“ folgen lässt. Und hier ereignet sich dann auch das Wunder von Luzern: Eine in ihren Proportionen derart perfekt ausbalancierte, instrumental so hinreißend elegant dargebotene und klanglich sonnenglitzernde Aufführung der Meeres-Symphonie zu erleben, ist ungefähr genauso rar, wie beim Muschelessen auf eine Perle zu stoßen. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit stimmt hier einfach alles. Je mehr Abbado das spürt, desto freier wird er in seinen Bewegungen, desto freundschaftlicher wendet er sich seinen brillanten Musikern zu. Immer mehr steigern sich Dirigent und Orchester in die Euphorie des Gelungenen, bis am Ende kein Halten mehr ist, der entfesselte Abbado das Tempo ins Rasante reißt, den Taumel auskostend bis zum letzten, schaumbekrönten Brecher. Eine Sternstunde.


























































Andere Zeitungen

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Filmreihe
«Claudio Abbado»
15. - 19. August 2003


Im Rahmen der Kulturpartnerschaft LUCERNE FESTIVAL-ARTE werden im Rahmen von SOMMER 2003 und anlässlich des 70. Geburtstages von Claudio Abbado vier Filme über und mit dem Chef des LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA gezeigt.

Zwei der Filme (17. und 19.8.) werden in Luzern exklusiv als Avant-Première vor der Erstausstrahlung im Kulturkanal ARTE präsentiert.

Freier Eintritt

Freitag, 15. August, 22.00 Uhr
Kleiner Saal

Abbado Nono Pollini: Eine Kielspur im Meer

Ein Film von Bettina Erhardt und Wolfgang Schreiber

(BCE Film, 2000, 60')


Samstag, 16. August, 21.00 Uhr
Kleiner Saal

Europakonzert vom 1. Mai 2002 im Teatro Massimo, Palermo

Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado, Gil Shaham, Violine

Werke von Beethoven, Brahms, Dvorak, Verdi

TV-Regie: Bob Coles; Produzent: Paul Smaczny

(NHK/VIDEAL/brilliant media)


Sonntag, 17. August, 21.00 Uhr Kleiner Saal

Claudio Abbado dirigiert Schubert I (2002)

Konzert zum 21. Jubiläum des Chamber Orchestra of Europe in der Cité de la musique Paris am 25.5.2002

Anne Sofie von Otter, COE, Claudio Abbado

TV-Regie: Andy Sommer

(ARTE France/Bel Air Media)

(40')


Dienstag, 19. August, 18.00 Uhr, Kleiner Saal

Claudio Abbado dirigiert Schubert II (2002)

Konzert zum 21. Jubiläum des Chamber Orchestra of Europe in der Cité de la musique Paris am 28.5.2002

Thomas Quasthof, COE, Claudio Abbado

TV-Regie: Andy Sommer
(ARTE France/Bel Air Media)
(40')




Letzte update

05/08/2003 News von Luzern
04/08/2003 Radio TV
14/07/2003 Editoriale
14/07/2003 Lettere di auguri a Claudio per il suo compleanno
14/07/2003 Classica TV (Ital) Juli -August

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