LUZERN UND DIE PRESSE

 NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
16.August 2004


13. August
19.30 Uhr

Richard Strauss
Vier letzte Lieder

Renée Fleming

Richard Wagner
Tristan und Isolde
Akt.II

Violeta Urmana
John Treleaven
René Pape
Mihoko Fujimura
Peter Brechbühler
Ralf Lukas


Lucerne Festival Orchestra
CLAUDIO ABBADO


18 &19. August
19.30 Uhr

L.v. Beethoven
Klavierkonzert Nr 4 G-Dur op.58

Maurizio Pollini, Piano

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5

Lucerne Festival orchestra
CLAUDIO ABBADO


23. August
19.30 Uhr

Paul Hindemith
Kammermusik Nr.5 op.36/4
Wolfram Christ, Viola

Kammermusik Nr.4 op.36/3
Kolja Blacher, Violin

"Finale 1921" aus Kammermusik Nr.1 op.24

L.v. Beethoven
Sinfonie Nr.1 C-Dur op.21

Solisten des Lucerne Festival Orchestra
Mahler Chamber Orchestra

CLAUDIO ABBADO


























































































 


herum...

© Neue Zürcher Zeitung; 16.08.2004; Nummer 189; Seite 19

Feuilleton

Lucerne Festival

Imagination, Handwerk und die Kunst

Eröffnung mit dem Festival Orchestra und Claudio Abbado

Etwas seltsam das Programm: erst die «Vier letzten Lieder» von Richard Strauss, für deren Aufführung - sie dauert gut zwanzig Minuten - die amerikanische Sopranistin Renée Fleming ihre jährliche Sommerpause unterbrochen hatte und nach Europa gereist war, und dann - in halbszenischer Darstellung - der zweite Aufzug aus «Tristan und Isolde» von Richard Wagner. Aber noch seltsamer die offizielle Eröffnung des Lucerne Festival, die wiederum - und diesmal ohne die kabarettistisch anmutenden Mikrofonpannen des letzten Jahres - aus einer kurzen Rede des Stiftungsratspräsidenten Jürg Reinshagen bestand. Sie führte nämlich zu der schnarrenden Anweisung, für die Abende in Luzern doch bitte festliche Kleidung vorzusehen; während sich das für den Musikgenuss vor der häuslichen Stereoanlage erübrige, sei es hier ein Ausdruck des Respekts vor den Musikern. Jetzt wissen wir, wo die Probleme liegen.

Nun, die eine Seltsamkeit blieb stehen, die andere löste sich vollkommen und in der glücklichsten Weise auf. Der Dirigent Claudio Abbado ist an einer Stelle seines Lebens angelangt, wo er sich herausnehmen kann, genau das zu tun, was er tun will - carpe diem. Er wollte die «Vier letzten Lieder» nun eben mit «seinem» Klangkörper zur Aufführung bringen, und das Lucerne Festival Orchestra hat sich diesem Wunsch mit jedem nur denkbaren Engagement und ganz auf dem Niveau des Vorjahres hingegeben. Die Besetzung im Prinzip gleich wie letztes Jahr, aber doch mit einigen markanten Veränderungen. Als Konzertmeister wirkt wieder Kolja Blacher, doch die zweiten Geigen werden nun von Gerhard Schulz angeführt, der zusammen mit dem Cellisten Valentin Erben das Alban-Berg-Quartett vertritt. Auch dieses Jahr dabei - und diesmal vollzählig - das Hagen-Quartett aus Salzburg und das Bläserensemble um die Klarinettistin Sabine Meyer. Soloflötist ist nicht mehr Emmanuel Pahud, sondern Jacques Zoon, und als Stimmführer der Celli macht nicht mehr Georg Faust von den Berliner Philharmonikern, sondern Franz Bartolomey von den Wienern mit.

Ein wunderbares Orchester. Herrlich in Wärme und Farbe des Klangs, geschmeidig und agil in der Diktion. Und worin die Besonderheit besteht, die aktive Teilhabe anstelle der hinnehmenden Unterordnung nämlich, das liess sich in «Beim Schlafengehen», dem dritten der vier Lieder, mit Händen greifen. Das Violinsolo war ganz und gar Sache des Konzertmeisters, der Dirigent liess ihm seinen eigenen Raum und folgte ihm in gespannter Aufmerksamkeit. Dasselbe in der Beziehung zwischen der Solistin und dem Dirigenten: höchster Respekt voreinander, ein gegenseitiges Geben und Nehmen und, ja, durchaus auch ein wenig Knistern zwischen Mann und Frau. Das waren die Voraussetzungen, aus denen heraus diese Lieder, die so rasch und so schrecklich sentimental werden können, als Kunst vorgeführt wurden, als Ausdruck von Gefühlen, die durch Imagination und Handwerk Musik geworden sind. Sie klingen so einfach, sind aber so anspruchsvoll - verlangen von der Sängerin zum Beispiel so viel Höhe wie Tiefe und dort so viel Gelöstheit wie hier Fundament. Renée Fleming hat das alles - und noch viel mehr: einen Mut zum Leisen etwa, zum Verhaltenen und Subtilen, dem das Orchester und Abbado eindrücklich entsprochen haben.

Dann also die jubelnde und fatale Begegnung zwischen Tristan und Isolde. Die Orgel durch die sonst offen stehenden Türen verschlossen, die akustische Decke tief gehängt, die Echokammern vollständig offen, das war die Konstellation. Auf die weisse Wand vor den Orgelpfeifen wurde ein Blättermuster projiziert, das seine Farbe veränderte; die Garderobe hinter dem Orchesterpodium war erleuchtet für die schmetternden Hörner der Jagdgesellschaft um König Marke. Aufgeladen bis ins Letzte das Drängen Isoldes beim Eintritt in den Akt, die instrumentalen Naturbilder, die dazwischentreten, dagegen vollkommen ruhig. Während Brangäne (Mihoko Fujimura mit seidener Dunkelheit) vor dem verräterischen Freund Melot (Ralf Lukas) warnt, steuern die Violinen spannungsvolles Tremolo bei, und wenn dann Isolde ihre Geschichte mit Tristan resümiert, kommen die kontrapunktischen Verbindungen zu den Celli und die (von Wolfram Christ prächtig dargebotenen) Soli der Bratsche in hellstes Licht. Spätestens hier wird der Sinn der konzertanten Wiedergabe deutlich; sie erschliesst die Partitur weit eindringlicher, als es in der Oper möglich ist, und Abbado versteht es wie kein Zweiter, den Bezug zwischen dem Vokalen und dem Instrumentalen herauszuarbeiten.

Endlich wird die Fackel gelöscht, ist der Moment da - für ein kleines Trauerspiel. Ben Heppner, mit dem Abbado 1999 in Salzburg den «Tristan» erarbeitet hatte, war angekündigt, dann aber doch verhindert, Robert Gambill liess sich ebenfalls (und kurzfristig) entschuldigen, weshalb John Treleaven für die Partie des Tristan übrig geblieben ist. Gewiss verfügt der britische Tenor über das nötige Stimmvolumen, er ist aber auch für sein bisweilen gellendes Timbre und fürchterliche Vokalverfärbungen bekannt, weshalb das Vergnügen auch an diesem Abend etwas geschmälert war. Anders Violeta Urmana, die als Isolde aus dem Vollen schöpfen konnte, jedenfalls keinen Augenblick an die Grenzen kam oder angespannt wirkte. So setzten sich denn die beiden - für die Sänger war ein erhöhtes Podium hinter dem Orchester vorbereitet - auf ihr Bänkchen, blickten in die Ferne und liessen die Nacht der Liebe herniedersinken: vorab ein orchestrales Ereignis, weil Abbado das Geschehen so subtil steigerte, dass der Moment, da sich die Stimmen in Oktavparallelen vereinen, tatsächlich als Höhepunkt empfunden werden konnte. Und dann das traurige Ende, eingeleitet durch einen kurzen Warnruf des Kurwenal (Peter Brechbühler) und zu höchster Eindrücklichkeit geführt von René Pape (König Marke) mit seinem hinreissend klangvollen Bass. Und wer den elementaren Ausbruch gehört hat, mit dem der Akt schloss, wird das nie wieder vergessen können.














































Der Wanderer

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