ABBADO UND DIE PRESSE

BERLINER ZEITUNG
16.August 2003


14. August
19.30 Uhr

Wagner: Die Walküre
Wotan'Abschied und Schlussszene
Debussy:  Le Martyre de Saint Sébastien, suite
Debussy: La Mer,
trois esquisses symphoniques

Bryn Terfel
Rachel Harnisch
Eteri Gvazava

Schweizer Kammerchor
Lucerne Festival Orchestra

CLAUDIO ABBADO



























































































 


herum...

Metaphysisches Verduften

Claudio Abbado tritt mit seinem neu gegründeten Orchester bei den Luzerner Festspielen auf

Klaus Georg Koch

Zum Ende seines Konzerts am Donnerstag hat Claudio Abbado in Luzern einen Blumenstrauß bekommen. Das war nun mehr als in Ordnung, der Dirigent hatte das Luzerner Musikfest eröffnet, sein neu gegründetes Lucerne Festival-Orchester vorgestellt und war überhaupt seit seinem bewegenden Abschied von den Berliner Philharmonikern im Mai des vergangenen Jahres erstmals wieder im großen Rahmen aufgetreten. Aber natürlich hat man auch noch vor Augen, wie Abbado seine Abschiedskonzerte mit den Philharmonikern gab - da regnete es Blumen auf ihn, ganze Körbe voll warf das Publikum in Dankbarkeit auf die Bühne.

Kann es, nach allem, für Abbado, sein Publikum, seine Musiker wieder so etwas wie ein Normalmaß geben? Nach schwerer und beinahe tödlicher Krankheit; nach den Delirien des Abschieds? Abbado wirkte am Donnerstag vital, so vital, dass der Eindruck eines endlich Genesenen nicht aufkam. Eilte auf sein Dirigentenpult, verbeugte sich schnell mit jener typischen, ruckartig pinguinhaften Vorwärtsbewegung des Oberkörpers, stellte sich kurz vor das Orchester, die Hände konzentriert übereinander gelegt, dabei von einem Bein aufs andere schaukelnd, und es ging los. Eindruck von Fülle. Abbado hatte Wotans Abschied und Feuerzauber ausgewählt, das Ende von Wagners "Walküre", wieder ein Abschiedsstück, aber jetzt schien er entschiedener auszugreifen als zuletzt, ging tiefer ins Orchester hinein mit seinen Befeuerungen, die Bahnen des sich auffaltenden Klangs zog er weiter mit dem linken Arm. Dass der Bassbariton Bryn Terfel, der Sänger des Wotan, vom Orchester oft einfach überspült wurde, schien seinen Sinn in jenem Wunsch nach Fülle zu haben - schließlich ist das Sprechen auch den Stimmen des Orchesters aufgegeben, nun sprachen sie eben mächtiger.

So begann es. Bis, nach den Stellen des letzten Mals, des Lebewohls, des letzten Kusses, Abbado die Wucht jenes Strömens beiseite nahm und Wagners leiserem Reden der Orchestermotive Raum verschaffte, jenem Geflecht aus Erinnerung und Vorahnung, das in der "Walküre" der abschließenden Lichterscheinung des Feuerzaubers vorausgeht. Und an jene Musik des Erinnerns, des Ahnens, des Lichts knüpfte nach der Pause, trotz aller antiwagnerianischer Entschlossenheiten, auch Debussys Musik von "Le martyre de Saint Sébastien" an. Abbado hatte seine Fassung der Partitur vorgestellt, die auch jene Gesangssätze enthält, die in der gängigen Suitenfassung für Orchester unterschlagen werden. Die ersten Takte mit ihrer mixturhaft starren Harmonik und der rätselhaft schweifenden, seraphisch jodelnden Melodik trug Abbado wieder vor wie etwas, was man weniger denkt als mit der Hand beschreibt, nach der Art balinesischer Tempeltänzerinnen vielleicht. Im Monolog der Jungfrau Erigone, der zweiten Nummer der "chambre magique", leistete man sich den Luxus fast vollkommener Stimmlosigkeit, die Sopranistin Eteri Gvazava trug die Worte der "Jungfrau, treu meinem Schatten und meinem Lied" fast nur mit der Kopfstimme vor, leise, in sich gekehrt, übertroffen am Ende nur vom Schweizer Kammerchor, dessen Sänger wie in der Suche nach einem magischeren Licht sanft gegen die Saalwand sangen.

Anders als viele Dirigenten, die sich als Helden der Symphonik inszenieren, arbeitet Claudio Abbado, wie man heute sieht, an seinem Mythos mit den Mitteln der Ästhetik; es scheint, als verwandle sich der Dirigent selbst immer mehr in eine musikalische Erscheinung. Zu seinem Abschied war aufgefallen, wie er sich mit dem Äußersten und seinem metaphysischen Hintergrund identisch zu machen versuchte, in Schumanns "Faust-Szenen", in Schostakowitschs Filmmusik "König Lear", in jenem "Ich bin der Welt abhanden gekommen" von Mahlers Rückert-Liedern. Im nächsten Sinfoniekonzert am Dienstag wird dann Mahlers Zweite gegeben, die "Auferstehungssymphonie". Dazu kommt, in Wagners "Tristan", in Schönbergs "Pelleas und Melisande" und jetzt in der Musik von Wotans Abschied, eine Erotik sublimen Verzichts, die die zwischenmenschlichen Fragen jenes metaphysischen Verduftens behandelt.

Stilistisch bleibt Abbado im Kreis jener Werke, die noch voll sind vom Aroma der tonalen Orchestermusik, gleichzeitig aber deren Sprengung, Überschreitung, auch Zerfall verkörpern. Es gibt Musik, die Abbado gewissermaßen ist, und Musik, die er wie einen Gegenstand in die Hand nimmt, etwa Bachs sechs Brandenburgische Konzerte, die ebenfalls in Luzern gegeben werden. In diesem Sinn hat Abbado am Donnerstag auch Debussys "La Mer" aufgeführt, als Muster der Substanzbewahrung in unmerklicher Variation, aber auch als kraftvolle Etüde wechselnder Farben und Muster, als Auflösung einer funktional nach Gruppen geordneten Orchester-Identität. Abbado hat sich dazu ein Orchester geschaffen, das seinem Musizieren ideal entspricht. Die Schlüsselpositionen sind mit prominenten Philharmonikern besetzt, neben ihnen sitzen herausragende junge Instrumentalisten. Zusätzlich haben sich Solisten und Kammermusiker aus aller Welt eingefunden, auch die Klarinettistin Sabine Meyer spielt mit. Kreativität, Individualität, Elan und Metiererfahrung haben sich hier in einzigartiger Höhe versammelt, eine Demonstration schier umwerfender alteuropäischer Kompetenz, für Aufführungen, die teure Einzelstücke bleiben, Luxus und Mystik untrennbar miteinander verschlingend.



















































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Filmreihe
«Claudio Abbado»
15. - 19. August 2003


Im Rahmen der Kulturpartnerschaft LUCERNE FESTIVAL-ARTE werden im Rahmen von SOMMER 2003 und anlässlich des 70. Geburtstages von Claudio Abbado vier Filme über und mit dem Chef des LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA gezeigt.

Zwei der Filme (17. und 19.8.) werden in Luzern exklusiv als Avant-Première vor der Erstausstrahlung im Kulturkanal ARTE präsentiert.

Freier Eintritt

Freitag, 15. August, 22.00 Uhr
Kleiner Saal

Abbado Nono Pollini: Eine Kielspur im Meer

Ein Film von Bettina Erhardt und Wolfgang Schreiber

(BCE Film, 2000, 60')


Samstag, 16. August, 21.00 Uhr
Kleiner Saal

Europakonzert vom 1. Mai 2002 im Teatro Massimo, Palermo

Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado, Gil Shaham, Violine

Werke von Beethoven, Brahms, Dvorak, Verdi

TV-Regie: Bob Coles; Produzent: Paul Smaczny

(NHK/VIDEAL/brilliant media)


Sonntag, 17. August, 21.00 Uhr Kleiner Saal

Claudio Abbado dirigiert Schubert I (2002)

Konzert zum 21. Jubiläum des Chamber Orchestra of Europe in der Cité de la musique Paris am 25.5.2002

Anne Sofie von Otter, COE, Claudio Abbado

TV-Regie: Andy Sommer

(ARTE France/Bel Air Media)

(40')


Dienstag, 19. August, 18.00 Uhr, Kleiner Saal

Claudio Abbado dirigiert Schubert II (2002)

Konzert zum 21. Jubiläum des Chamber Orchestra of Europe in der Cité de la musique Paris am 28.5.2002

Thomas Quasthof, COE, Claudio Abbado

TV-Regie: Andy Sommer
(ARTE France/Bel Air Media)
(40')




Letzte update

05/08/2003 News von Luzern
04/08/2003 Radio TV
14/07/2003 Editoriale
14/07/2003 Lettere di auguri a Claudio per il suo compleanno
14/07/2003 Classica TV (Ital) Juli -August

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