DIE WELT Porträt Daniel Harding
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Sein Vorbild heißt David Beckham Daniel Harding gehört schon zu den gefragtesten Dirigenten der Welt. Dabei ist er noch nicht einmal 28 von Manuel Brug
Der Dirigent und Musikalische Direktor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, Daniel Harding Foto: ddp Ein Junge schlurft durch South Kensington in Richtung Hyde Park. Er ist blond, schmächtig und bleich, das weite Sweatshirt schlackert um die ebenfalls zu großen Jeans. Er ist auf dem Weg zu seinem sechsten Konzert bei den BBC-Proms in der Londoner Royal Albert Hall. Drei Stunden und ein paar Takte Rameau, Sibelius und Beethoven später werden dem Schweißgebadeten 6000 trotz heftigen Fächergebrauchs ebenfalls durchfeuchtete Zuhörer begeistert zujubeln. Und er wird ein paar Minuten später seinem Orchester, der Deutschen Kammerphilharmonie, die er heute letztmals als Chef geleitet hat, bei einem Glas Champagner sagen: "Wenn ihr in den letzten vier Jahren nur halb so viel gelernt habt wie ich, dann ist das sehr, sehr gut." Daniel Harding ist fast 28, und er ist einer der gefragtesten Dirigenten der Welt. Doch seit seinem spektakulären Karriererestart 1996 bei den Berliner Festwochen als Einspringer für Vladimir Ashkenazy hat der ehemalige Assistent von Rattle und Abbado vieles anders gemacht, als es von einem begierig nach Frischfleisch greifenden Markt erwartet wurde. Seine Idole sind weder Bach noch Mozart, Mahler oder wenigstens der Alte Fritz, sondern ganz prosaisch David Beckham. Dem hat er, wie den Mannschaften von Manchester und Turin, einen kompletten Autogrammsatz abgeluchst, indem er sich backstage als Liftboy ausgab. Das würde man nicht so vielen Dirigenten abnehmen. Auch neben passivem wie aktivem Fußball teilt Daniel Harding seine Zeit unorthodox ein. Er liebt den authentischen Klang der ostdeutschen Traditionsorchester in Dresden und Leipzig - und die lieben ihn. Hier kann er mit dem großen sinfonischen Repertoire hantieren und lernen. Muss er auch, denn sein "offizielles" Debüt bei den Berliner Philharmonikern 2001 mit Schumanns 2. Sinfonie ging prompt ein wenig in die Hose. Die einen mögen seine pragmatisch hurtigen Notenerkundungen, andere finden ihn überschätzt. Bald debütiert er bei den Wiener Philharmonikern - mit Mahlers 10. Sinfonie. In Amerika hat Harding in Los Angeles und Philadelphia orchestral Wurzeln geschlagen, schaut pro Saison noch bei ein bis zwei neuen Orchestern vorbei; etwas müde gewordene Schlachtrösser wie das New York oder das Boston Philharmonic stehen dabei am Ende der Liste. Und im Sommer gibt es Oper in Aix-en-Provence. Am liebsten aber teilt Harding seine knappe Zeit mit den unabhängigen Kammerorchestern neueren Typs: Hier ist der Altersunterschied nicht so groß, ein Autoritätsproblem gibt es kaum, Tradition und Schlamperei sind - noch - Fremdworte. Nach drei Jahren im norwegischen Trondheim hat er seit 1999 in Bremen mit der Deutschen Kammerphilharmonie in harmonisch funkelnder Ehe gelebt (eine andere samt Tochter gibt es inzwischen auch). Man hat sich gegenseitig begeistert an Flexibilität und Freiheit, Neugier und Spielfreude. Ab Herbst steht er dem durchstartenden Mahler Chamber Orchestra vor. Obwohl es sich medial nicht so niedergeschlagen hat, wie es sich der Orchesterintendant, der ehemalige Grammophon- und Sony-Manager Günther Breest, vorgestellt hat, war es für beide Seiten eine ungemein identitätsfördernde Zeit. Harding konnte einen gehörigen Schritt vorwärts tun, hat Repertoire gelernt und Führungsqualität. Das sich selbst verwaltende Orchester konnte nach seinem ersten Chef Thomas Hengelbrock mit diesem zupickenden Dirigentenküken sein Profil gehörig schärfen. Und im Hintergrund waltete der Agent Martin Campbell-White, der schon Simon Rattle zu Weltruhm führte. Die musikalische Welt hat diese Paarung lobend anerkannt und aufmerksam verfolgt, die Bremer aber haben sie geliebt. Bevor der Brite Harding, der - als jüngster Dirigent überhaupt - bereits 1996 bei den Proms debütierte, zu seinen letzten, eher zufällig englischen Kammerphilharmonien-Auftritten startete, gab es in Bremen, von 6000 ausrastenden Zuschauern auf dem Rathausmarkt verfolgt, eine "Last Night before the Proms", mit Papierhütchen und Fahnen, mit komischen Einlagen, Zugabenwünschen per Handy und viel Spaß. Kein Wunder, dass eine Bremer Fankurve in London dabei war. Später, wie gesagt: Champagner für alle und eine launige, ein wenig sentimentale Rede. Dann zieht das schon wieder lachende Orchester, das im Herbst einen neuen, renommierten Chefdirigenten aus Nordosteuropa ernennen wird, weiter in eine Pizzeria. Schon ohne den alten Chef. Der muss am nächsten Morgen früh raus: Sein Mahler Chamber Orchestra wartet bereits in Luzern.
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