NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
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Wenn der Vater mit dem Sohne
Mozarts «Zauberflöte» im Festspielhaus Baden-Baden
Flüssig und geschmeidig erklingt die dreiteilige Akkordfolge, die in Wolfgang Amadeus Mozarts «Zauberflöte» einleitet; ein Adagio hat sich der Komponist hier gedacht, aber eben eines «alla breve», also in halben Takten geschlagen - das ist zu hören. Bei der synkopischen Stelle, die folgt, geben die Celli und die Bässe kernig den Ton an, während die höheren Streicher mit wenig Vibrato dagegenhalten und die Bläser den Verlauf mit einem klaren Akzent krönen. Wieder einige Takte später ein Doppelstrich - und dort wird der Schlag dann ganztaktig. Das Allegro steht somit in klarem Bezug zum dagio, wird aber auch sehr schnell. Dem Mahler Chamber Orchestra, das mit dieser Einleitung die achten Herbert-von-Karajan-Pfingstfestspiele in Baden-Baden eröffnet hat, macht das freilich keine Mühe; es kennt jede Regung des Dirigenten Claudio Abbado, und was die Beweglichkeit auf den Instrumenten betrifft, bleibt hier kein Wunsch offen. Musikalisch wie neu Damit gab die Ouverture vor, was die in Zusammenarbeit zwischen dem Festspielhaus Baden-Baden und den Opern von Reggio Emilia und Ferrara entstandene Produktion auszeichnet: eine musikalische Ausarbeitung auf höchstem Niveau und eine ganz bewusste Ausleuchtung der Strukturen, zugleich aber auch musikantische Lust und klangliche Schönheit sondergleichen. Vor allem aber trat hervor, in welchem Mass die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis inzwischen Standard geworden sind. Spürbar wurde das etwa am Gewicht, das die Bläser im Gesamtklang einnehmen; die Trompeten zum Beispiel schmetterten, dass es eine Art hatte, aber verwendet wurden offenkundig eng mensurierte Instrumente alter Bauart, so dass die Balance gewahrt blieb. Vierzig Jahre sind vergangen, seit Nikolaus Abbado hat spät zur «Zauberflöte» gefunden; 72 Jahre alt, stellt er sich erstmals öffentlich diesem ebenso schwierigen wie populären Werk. Die Konstellation gleicht jener von 1990, als sich der damals 78-jährige Georg Solti im Wiener Konzerthaus noch einmal der «Zauberflöte» zuwandte: mit einem weitgehend aus jungen Sängern gebildeten Ensemble. Doch während in der an sich schönen Aufnahme Soltis eine bisweilen forcierte Frische herrscht, geht Abbado diese späte Musik Mozarts ganz souverän und gelöst an; wie von selbst scheint sie sich zu ergeben, und wie von selbst scheint sie auch ihre so unterschiedlichen Tonlagen zu finden. Apollinische Heiterkeit im Sinne der Wiener Mozart-Tradition der Nachkriegszeit stellt sich dabei nicht ein, das verhindert Abbados Interpretationsansatz. Er lässt das Werk vielmehr in spannendem Wechselspiel vorüberziehen, und immer wieder legt er in der scheinbar so vertrauten Partitur unerwartete Aspekte frei. Das ist Interpretation im eigentlichen ! Sinn des Wortes: Verlebendigung eben. - Wie Solti arbeitet auch Abbado bei dieser «Zauberflöte» mit einem Ensemble vorwiegend junger Sänger - und die Besetzung wirkt fast noch stimmiger als beim «Don Giovanni» 1998 in Aix-en-Provence. Der Tenor Christoph Strehl neigt zwar auch hier zum Pressen; zudem setzt er ein Ausdrucksmittel wie das Portamento, das Ansingen der Töne, etwas häufig ein - und ein Schluchzer vor dem eröffnenden Sextsprung in der Bildnis-Arie ist schlicht geschmacklos. Aber wie er der gern süsslich geratenden Partie des Tamino vokale Kontur und männliche Figur verleiht, ist ausgesprochen überzeugend. Peter Hagmann
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