ABBADO IN
BADEN-BADEN

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
Peter Hagmann



























































































 


Wenn der Vater mit dem Sohne

Mozarts «Zauberflöte» im Festspielhaus Baden-Baden

Flüssig und geschmeidig erklingt die dreiteilige Akkordfolge, die in Wolfgang Amadeus Mozarts «Zauberflöte» einleitet; ein Adagio hat sich der Komponist hier gedacht, aber eben eines «alla breve», also in halben Takten geschlagen - das ist zu hören. Bei der synkopischen Stelle, die folgt, geben die Celli und die Bässe kernig den Ton an, während die höheren Streicher mit wenig Vibrato dagegenhalten und die Bläser den Verlauf mit einem klaren Akzent krönen. Wieder einige Takte später ein Doppelstrich - und dort wird der Schlag dann ganztaktig. Das Allegro steht somit in klarem Bezug zum dagio, wird aber auch sehr schnell. Dem Mahler Chamber Orchestra, das mit dieser Einleitung die achten Herbert-von-Karajan-Pfingstfestspiele in Baden-Baden eröffnet hat, macht das freilich keine Mühe; es kennt jede Regung des Dirigenten Claudio Abbado, und was die Beweglichkeit auf den Instrumenten betrifft, bleibt hier kein Wunsch offen.

Musikalisch wie neu

Damit gab die Ouverture vor, was die in Zusammenarbeit zwischen dem Festspielhaus Baden-Baden und den Opern von Reggio Emilia und Ferrara entstandene Produktion auszeichnet: eine musikalische Ausarbeitung auf höchstem Niveau und eine ganz bewusste Ausleuchtung der Strukturen, zugleich aber auch musikantische Lust und klangliche Schönheit sondergleichen. Vor allem aber trat hervor, in welchem Mass die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis inzwischen Standard geworden sind. Spürbar wurde das etwa am Gewicht, das die Bläser im Gesamtklang einnehmen; die Trompeten zum Beispiel schmetterten, dass es eine Art hatte, aber verwendet wurden offenkundig eng mensurierte Instrumente alter Bauart, so dass die Balance gewahrt blieb. Vierzig Jahre sind vergangen, seit Nikolaus
Harnoncourt und der Concentus musicus Wien diesen Paradigmenwechsel in Gang gesetzt haben. Gehässige Abwehr war damals die Reaktion. Heute steht - beider Brüsseler «Zauberflöte» vor drei Wochen - René Jacobs vor einem Sinfonieorchester herkömmlicher Art und sät dort erfolgreich seine Spezialkenntnisse, während sie sich auf der anderen Seite ein Star wie Abbado längst zu eigen gemacht hat.

Abbado hat spät zur «Zauberflöte» gefunden; 72 Jahre alt, stellt er sich erstmals öffentlich diesem ebenso schwierigen wie populären Werk. Die Konstellation gleicht jener von 1990, als sich der damals 78-jährige Georg Solti im Wiener Konzerthaus noch einmal der «Zauberflöte» zuwandte: mit einem weitgehend aus jungen Sängern gebildeten Ensemble. Doch während in der an sich schönen Aufnahme Soltis eine bisweilen forcierte Frische herrscht, geht Abbado diese späte Musik Mozarts ganz souverän und gelöst an; wie von selbst scheint sie sich zu ergeben, und wie von selbst scheint sie auch ihre so unterschiedlichen Tonlagen zu finden. Apollinische Heiterkeit im Sinne der Wiener Mozart-Tradition der Nachkriegszeit stellt sich dabei nicht ein, das verhindert Abbados Interpretationsansatz. Er lässt das Werk vielmehr in spannendem Wechselspiel vorüberziehen, und immer wieder legt er in der scheinbar so vertrauten Partitur unerwartete Aspekte frei. Das ist Interpretation im eigentlichen !

Sinn des Wortes: Verlebendigung eben. - Wie Solti arbeitet auch Abbado bei dieser «Zauberflöte» mit einem Ensemble vorwiegend junger Sänger - und die Besetzung wirkt fast noch stimmiger als beim «Don Giovanni» 1998 in Aix-en-Provence. Der Tenor Christoph Strehl neigt zwar auch hier zum Pressen; zudem setzt er ein Ausdrucksmittel wie das Portamento, das Ansingen der Töne, etwas häufig ein - und ein Schluchzer vor dem eröffnenden Sextsprung in der Bildnis-Arie ist schlicht geschmacklos. Aber wie er der gern süsslich geratenden Partie des Tamino vokale Kontur und männliche Figur verleiht, ist ausgesprochen überzeugend.
Sehr innig in Stimmgebung wie physischer Ausstrahlung die Pamina von Rachel Harnisch, quirlig und wohlklingend der Papageno von Markus Werba, äusserst agil die Papagena von Julia Kleiter. Und als Königin der Nacht führt Erika Miklosa, die in der Höhe in keinem Moment spitz wird, geradezu sensationelle Treffsicherheit vor, während Kurt Azesberger einen schneidenden Monostatos gibt und Georg Zeppenfeld als Sarastro einen ebenso schlanken wie klangvollen Bass hören lässt. Das Baden-Badener Publikum war von all dem so angetan, dass es die Nachspiele der Arien immer wieder verklatschte.
Szenisch banal
Der Clou der Produktion bestand nun aber darin, dass der Vater mit dem Sohne - dass der Dirigent Claudio Abbado den Regisseur Daniele Abbado mitgebracht hatte. Das war ein Reinfall. Daniele Abbado soll sich zwar ausführlich mit Literatur befasst haben, er hat sich aber nicht für eine erkennbare Lesart des Stücks entscheiden können; das Feld blieb den Ausstattern Graziano Gregori (Bühne), Carla Teti (Kostüme) und Guido Levi (Licht, aber oft spärlich) überlassen. Der Regisseur scheint vom reimaurerischen Initiationsritual absehen, das Stück eher wie ein Kindermärchen erzählen zu wollen. Daher die vielen Tiere wie der gewaltige Dinosaurier am Anfang - aber da bleibt doch vieles allzu konventionell, da ist Achim Freyer in seiner Salzburger «Zauberflöte» von 1997 schon wesentlich weiter gekommen. Dazu gibt es jede Menge an handwerklicher Unsinnigkeit, zum Beispiel jenen sehr schräg gestellten Bretterboden, auf dem Sarastro und seine Mannen ihre Würde nur mit Mühe wahren können. ! In italienischen Opernhäusern ticken die Uhren noch immer anders.

Peter Hagmann

Andere Zeitungen

Neue Zürcher Zeitung(CH)
Der Tagesspiegel (D)
Die Zeit (D)
The Guardian (UK)
Der Standard (A)


Aktualisierung

18/06/2005 Zauberflöte: Die Zeit
18/06/2005 Zauberflöte: Der Standard
18/06/2005 Zauberflöte: NZZ
26/04/2005 Zauberflöte: Tagesspiegel
26/04/2005 Radio TV
07/04/2005 Classica
Mai 2005
14/02/2005 Venezuela 2 (Kritik Konzert 13. Februar)
14/01/2005 Venezuela 1 (Avant-premiere Konzert 13.Februar)
26/01/2005 Granma Diario (Kuba)
26/01/2005 Wanderer Kuba
26/01/2005 Programm 2005 von Claudio Abbado aktualisiert
26/01/2005 ClaNewsudaus Venezuela (4): Erstes Konzert von OJL 
18/01/2005 News aus Venezuela (3)
17/01/2005 News aus Venezuela (2)
16/01/2005 News aus Venezuela
14/01/2005 Cuba
14/01/2005 Radio TV
06/01/2005 Cuba Wanderer
06/01/2005 Cuba Galerie
06/01/2005 Infobox
12/12/2004 Mahler IX DVD
23/11/2004

Programm Luzern 2005


16/11/2004 Andere Fotos (Bologna & Orchestra Mozart)
15/11/2004 Infobox
14/11/2004 Neue Fotos (Bologna & MCO)
14/11/2004 CD Mahler Debussy
Kritik -  Der Standard (Wien)
13/11/2004 Sueddeutsche Zeitung
13/11/2004 Die Welt
15/10/2004 Galerie Luzern 2004: Claudio Abbado
15/10/2004 Galerie Luzern 2004: Mitglieder
15/10/2004 The Guardian, 15 october 2004
15/10/2004 Editorial
15/10/2004 Saison 2004-2005
15/10/2004 Mozart Orchester
08/10/2004 Infobox
19/09/2004

Musicweb (CD Mahler Debussy)

19/09/2004 Wanderer 14: Lucerne 2004 (Beethoven and Mahler V )
11/09/2004

Musicweb (seen and heard)

09/09/2004 Luzern 2004: Mitglieder's Fotos
09/09/2004 Wanderer 13: Lucerne 2004 (Strauss and Wagner )
04/09/2004 Neue CD
04/09/2004 Neue DVD
26/08/2004 Lucerne 2004: New York Times
26/08/2004 Lucerne 2004: El Pais (Mahler)
26/08/2004 Lucerne 2004:  El Pais (Tristan)
26/08/2004 next saison 2004-2005: Update n.3
26/08/2004 next saison 2004-2005: Update n.2
22/08/2004 Infobox
22/08/2004 Lucerne 2004: Articles
06/07/2004 Neue Schallplatten
29/06/2004 Wanderer 8: Berlin Juni 2004
27/06/2004 Claudio's Geburtstag: The party des CAI in Mailand
14/06/2004 CAI Fotogalerie Mitgleiie 2004

Der Wanderer

Sich erinnern


Schreiben Sie uns

e-Mail