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Lucerne Festival
Ovationen für das Neue
Zweimal Abbado und das Lucerne Festival Orchestra
Zwei Konzerte mit dem Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado: Welche Programme sind da zu erleben? So wird das erste Konzert (17. August) mit Alban Bergs «Fünf Orchesterliedern nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg» op. 4 eröffnet, mit Gustav Mahlers Siebter Sinfonie beschlossen, dazwischen hören wir drei Lieder von Franz Schubert in Orchestrationen von Max Reger und Benjamin Britten. Oder das zweite (20. August): Zu Beginn eine Folge von vier Stücken aus Luigi Nonos Tragedia dell'ascolto «Prometeo», dann sieben orchestrierte Schubert-Lieder und zum Schluss Richard Wagner: Vorspiel und Liebestod aus «Tristan und Isolde».
Herausforderungen
Das Publikum sagt Ja zu solch beziehungsreichen Hörherausforderungen; im ersten Konzert gab es einmal standing ovations, im zweiten gar zweimal. Der Grund liegt darin, dass hier kompromisslos mit höchstem Qualitätsanspruch interpretiert wird. Auch Neue Musik: Die differenzierte Raumkomposition «Prometeo» (1984/85) für Stimmen, Instrumentengruppen und die Live- Elektronik des Experimentalstudios der Heinrich- Strobel-Stiftung des Südwestrundfunks von Luigi Nono wurde im ausverkauften Konzertsaal des KKL Luzern zu einem Riesenerfolg. Nicht nur wegen ihres meditativ-sakralen Gestus, sondern weil so kompetent, glühend Musik gemacht wurde. Das kommt bei jedem Publikum an, das ins Konzert geht, um sich bewegen zu lassen.
Dann die Qualität dieses so sich am Kammermusikalischen orientierenden Orchesters. Mit einem Dirigenten, der gerade dies besonders pflegt und liebt. Ein eindrücklicher Höhepunkt, wie in Wagners «Tristan»-Musik jede Musikerin, jeder Musiker gleich schwang. Unglaublich, diese Streicher: Sie spielten wirklich, als wären sie ein riesiges Streichquartett, denn Atem, Farbe, Artikulation waren perfekt aufeinander abgestimmt. Und wie die Bläser sich in diesen Klang einfügten, wie sie heraustraten, den Klang blühen lassen konnten. So wird interpretatorisch Neuland betreten. Gustav Mahlers Siebte verlangt höchste Virtuosität, und sie erklang voller expressiver Anspannung mit einem Orchester auf schlicht umwerfendem Niveau. Allerdings wären hier interpretatorisch doch einige Fragezeichen zu setzen. Wo bleibt die Doppelbödigkeit dieser Musik, wenn sie so gerade heraus und kunstfertig gespielt wird? Ist das Finale wirklich nur diese stürmische Dithyrambe, in der dann doch einige musikalische Banalitäten stecken, oder wären auch andere, verfeinerte Zwischentöne zu entdecken?
Ein Erlebnis war indes, wie Claudio Abbado in Alban Bergs Altenberg-Liedern die Farben mischte: bei den fein schwebenden Klangwolken zu Beginn, beim gleichsam skulpturalen Schluss. Schwer, von Parfum geschwängert schien die Luft im KKL zu werden, denn der Ton der zu Ende gehenden Belle Epoque Wiens wurde verführerisch genau getroffen. Der getragene Tonfall Bergs liegt der Sopranistin Renée Fleming, und sie hat auch den enormen Tonumfang zur Verfügung, den diese Lieder brauchen. Sie gestaltete mit Farben, welche die Stimmung von Dekadenz und Heiterkeit vermittelten, und gab dem im dreifachen Pianissimo verlangten hohen C am Ende des dritten Liedes ein wunderbares mezza voce. Danach erreichte sie auch bei Schuberts elegischem «Nacht und Träume» grösste Intensität. Weniger lag ihr das Bewegte. Das schnelle Parlando der «Forelle» beispielsweise liess an Treffsicherheit und Farbigkeit doch einige Wünsche offen.
Bestechende Idee
Die Idee, an zwei aufeinander folgenden Konzerten Schubert-Lieder in Orchesterfassungen verschiedener Komponisten zu bringen, hat etwas Bestechendes, und gleichzeitig ist das Instrumentieren gerade bei Schubert ein heikles Unterfangen. Im klanglich neutralen Klaviersatz klingen so viele Schichten an, welche durch eine Orchestrierung konkretisiert werden, und dabei geht Offenheit verloren. Max Regers Instrumentationen («Nacht und Träume», «Gretchen am Spinnrade» u. a.) vermögen sehr zu überzeugen und berühren, denn er hat sensibel Ausdrucksräume geschaffen, welche die Offenheit des Klaviersatzes behalten, aber alles andere als auf das Orchester übertragenes Klavierspiel sind. Ebenso hat Anton Webern («Tränenregen», «Wegweiser») mit wenigen, differenzierten Mitteln das Vage gleichsam überhöht. Demgegenüber machte (der junge) Johannes Brahms aus Schubert Brahms, und Benjamin Britten - sonst ein hervorragender Instrumentator - hat sich an der «Forelle» (verständlicherweise) die Zähne ausgebissen.
Ereignishaft aber war, was Thomas Quasthoff, der Luzerner «artiste étoile» dieses Jahres, aus den sieben von Webern, Reger und Brahms instrumentierten Liedern machte, die im zweiten Konzert erklangen. Quasthoff war ganz bei Schubert und gleichzeitig sehr persönlich im Ausdruck; man hatte das Gefühl, dass es hier nicht mehr um Schönheit und Liederseligkeit im herkömmlichen Sinn ging, sondern um reine, mitunter auch unbequeme Wahrheit.
Alfred Zimmerlin
El Pais | |
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