Berliner Morgenpost 1.Dezember 2001 |
Von Schönheit besessen
Abbados «Parsifal» geriet zur grandiosen Vision
Klaus Geitel
Ach was - Event! Diese konzertante, fünfeinhalbstündige Aufführung des «Parsifal» von Richard Wagner durch die Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado gerät zur Unvergesslichkeit. Und dies nicht einzig durch die neu angeschafften, sonnenschirmähnlichen bronzenen Glockengebilde, für deren Ankauf das Orchester vielleicht sogar seine Fräcke hat hergeben müssen.
Es spielt im «kleinen Schwarzen», dem Dienstanzug der Nachmittagsstunden. Doch Abbado schließt ihm und Wagner nachdrücklich die musikalische Himmelstür auf. Es spielt wie von Schönheit besessen.
Die Philharmoniker haben wunderbare Helfershelfer dabei. Zum Rundfunkchor in all seiner Pracht gesellen sich hoch droben auf den Emporen in köstlichem Stimmgedränge die Tölzer Sängerknaben, und aus ihrer Mitte heraus erhebt sich die verzaubernde «Stimme aus der Höhe» von Elena Zhidkova, es ist die anrührendste, die man je hören durfte.
«Halbszenisch» nennt sich die Aufführung, und sie artikuliert sich mit großer Ruhe in Würde. Gisela Pestalozza ist eine Kostümberatung zu danken, die den bildlichen Aufriss des Konzerts dezent unterstreicht. Das musikalische Entzücken gründet sich felsenfest auf dem Spiel des Orchesters.
Die Philharmoniker sind nun einmal unangefochten das Elite-Orchester Deutschlands, und das hört man Stunde um Stunde. Es geht mit Intelligenz, gemischt mit musikalischer Wollust, Abbado zur Hand, der die Aufführung immer wieder einem schier mystischen Entzücken entgegentreibt.
Nie zuvor hat man auch nur eine annähernd so homogene, betörend dahinsingende Blumenmädchenszene gehört. Unter die Ritter und Knappen mischen sich viele junge, vielversprechende Stimmen. Richard Paul Fink gibt einen jungen, energischen Klingsor mit schönem stimmlichem Nachdruck. Hans Tschammer ist als Titurel mit seinem leuchtenden Bass in Diktion und Prägnanz ein Vorbild für alle.
Aber was wären sie alle ohne den Mann an der Spitze: den Ekstatiker Claudio Abbado, der sich in Wagners Spätwerk geradezu wie besessen hineinwühlt. Er ist der Mann der großen musikalischen Vision, der Prachtentfaltung in den mächtig heraufprunkenden Chorszenen, des Lyrismus in den Naturstimmungen. Bei ihm klingt nicht einzig der Karfreitag verzaubert.
Viel davon gibt er an seine Sängerschar ab. Allerdings hat Kurt Moll anfangs durchaus einige Mühe, die riesige, spannungsreiche Erzählung des Gurnemanz auch wirklich eindringlich vorzutragen, doch später singt er sich frei und schließt zu seinen unvergesslichen Leistungen früherer Jahre auf. Albert Dohmen als Amfortas gewinnt der Leidensfigur dagegen erstaunlicherweise nur ziemlich blasse Konturen ab.
Linda Watson ist eine höchst damenhafte Kundry mit weit ausgreifender, glänzend gebildeter Stimme: eine «wilde Reiterin» sozusagen, in allen Wagner-Sätteln gerecht. Der Verführungsszene im Zaubergarten gibt sie gefährliche Süße und den großen hochdramatischen Schrei. Robert Gambill ist als Parsifal so etwas wie der Singheld des neuen Jahrtausends.
Er singt ohne Bombast; schlank, doch mit Nachdruck. Er liefert eine künstlerisch hochkarätige Leistung: ein Leichtathlet des Wagner-Gesangs, der bis in die letzte Reihe im Saal wie auf dem Podium davon überzeugt, dass diesem jungen Mann und keinem anderen der Gralskönigs-Thron gebührt.
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