Alter Herr hat wieder Schwung
Bukolische Seniorenkomödie: Abbado und Donnellan verharmlosen Verdis "Falstaff"
Von Manuel Brug
Die Salzburger Osterfestspiele müssten eigentlich eine ungewöhnliche, ja hochmoralische Musiktheaterangelegenheit sein. Zum zweiten Mal innerhalb von acht Jahren präsentieren sie nun ihren hochmögenden, schwerreichen Besuchern mit Giuseppe Verdis "Falstaff" das altersweise, wenig kulinarische, gar nicht nette und sehr nachdenklich stimmende Resümee eines Komponistendaseins: Für Verdi war ein Leben (bald) zu Ende, ein Jahrhundert vorbei, ein Musikzeitalter finito, eine Gesellschaft perdu und - vielleicht sogar - das Operntheater an sich passee. Die Welt ist ein Witz und alle sind gefoppte Betrüger, so sein fatalistisches Fazit.
Eine fastenzeitliche Bußübung im Namen der Kunst also, auf dass das wohlkonservierte, jedes Frühjahr wie aus dem ewigen Trockeneis aufgetaute Luxuspublikum sich den Spiegel vorhalten lasse, brillantenklirrend, seideknisternd in sich gehe, und das Dinner im Hirschen danach um so bekömmlicher munde.
Man muss bei einer Verdi-Vivisektion nicht so radikal vorgehen, wie es kürzlich Peter Konwitschny in Graz getan hat, der mit dem "Falstaff" beinahe alle abendländischen Kulturgüter in einem Abfallcontainer entsorgte. Doch ein wenig von dessen Wut, seiner Musikalität und seinem Witz wäre schon vonnöten gewesen, um den schwarzen Paillettenpanzer der stoisch ihre Küsschen-Kür in Reihe 7 absolvierenden Eliette von Karajan zu durchdringen.
Doch was schon deren Gatte mit seiner Sommer-Produktion Anfang der achtziger Jahre und 1993 die Ronconi/Solti-Inszenierung kaum wollten, das versuchen Claudio Abbado und der englische Regisseur Declan Donnellan gar nicht erst. Man begnügt sich mit einer bukolischen Seniorenkomödie, in Maßen lustig, niemanden kratzend oder gar verstörend. Musiktheater der nett affirmativen Art. Näher bei Otto Nicolais durchaus genialen, aber harmlosen "Lustigen Weibern von Windsor" als bei Verdi und Arrigo Boitos stachligem, widerhakenreichen antibürgerlichem Maskenspuk.
Mit dem als Shakespeare-Spezialisten ausgewiesenen 48-jährigen Donnellan und seinem sich als Designer für einen Landhaus-Look mit ortsüblichen Stilmerkmalen empfehlenden Ausstatter Nick Ormerod ist wieder ein Regieteam auf der für dieses intime Ensemble-Stück besonders ungeeigneten Salzburger Cinemascope-Bühne gescheitert. Windsor, das sind alte Stiche als monströs gerasterte Schwarz-Weiß-Drucke.
Zwischen dem Punktenebel, in der Mitte und stur an der Rampe, gibt es ein wenig Kolorit: von Geisterhand bewegte Buchsbäumchen, das Wirtshaus zum wilden Eber als Zirbelholzstube, Spalierobstgitter, Fachwerk-Putzigkeit. Der mitternächtliche Zauberwaldalbtraum an Hernes Eiche schrumpft vor schwarzen Vorhängen zum viktorianischen Kostümfest: ein neckischer Sommernachtstraum in Bratrock und Krinoline, mit Ballettkindern und Choraufmarsch. Falstaff, der gefledderte Außenseiter, sitzt mit am Tisch und beißt ohne jede Erkenntnis als erster in sein Brathuhn.
Anfangs noch sucht Donnellan die epische Verfremdung, lässt nicht handelnde Personen auftauchen, wenn von ihnen die Rede ist. Auch Sir John irrlichtert stumm durch die Damenriege, die sich nach ihm verzehrt. Doch solches löst sich in glatter Lachtheater-Mechanik auf.
Der leider auch Claudio Abbado tatenlos zuarbeitet. "Falstaff" scheint nicht wirklich sein Verdi-Stück. Wo der späte Karajan ziselierte und der noch spätere Solti knarzig drauflos marschierte, versucht Abbado mit routiniert aufspielenden Berliner Philharmonikern den Mittelweg. Es schnurrt, aber nicht zu sehr, es hält inne, entfaltet sich, aber nicht wirklich. Aufpoliertes, mehr altväterliches, denn altmeisterliches Spiel, nur an der Oberfläche eilend, nie Seelengründe freilegend. Solistischer Glanz, der keine Kollektivleistung ergibt.
Gehobenes Mittelmaß auch auf der Bühne: Ruggero Raimondis Falstaff, erst im Lauf des Abends zu Stimme kommend, ist nicht wirklich komisch, seinem dürrer werdenden Bariton fehlt das Fette des alten Schwerenöters. Als Pinguin in schlecht gepolsterten Unterhosen, in Kürassier-Uniform und Frack, zudem mit Johann-Strauß-Backenbart ist er nur Witzfigur. Die anderen wachsen kaum über Karikaturen hinaus: Carmela Remigios Alice ohne flirrende Sopranerotik, Lucio Gallos temperamentlos entrüsteter Ford, Stella Doufexis (Meg Page), die allzu mütterliche Quickly (Larissa Diadkova).
Dazu drei stimmliche Nebenrollenruinen. Als Liebespaar und brav: Massimo Giordano und Dorothea Rüschmann. Die Verwertungskette wird freilich ungerührt weitergeknüpft. Nachdem sich Claudio Abbado den "Falstaff" 1998, die Berliner Lindenoper lahmlegend, angeeignet hat, nach "Falstaff"-Konfekten im letzten Silvesterkonzert und der Oster-Reprise geht es ins Plattenstudio. Allerdings mit dem dafür geeigneteren Bryn Terfel in der Titelrolle. Der singt den dicken Ritter auch im Salzburger Sommer - unter Lorin Maazel. Nächstes Jahr voraussichtlich Ähnliches mit "Parsifal", immerhin von Peter Stein inszeniert. Mal sehen, ob ab 2003 Sir Simon Rattle an diesem nach wie vor dem Kommerz huldigenden Osterfest-Ritual Wesentliches wird ändern können.
Noch eine - ausverkaufte - Vorstellung am 16. April
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