SALZBURG 2001

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Salzburg 2001

Premiere Kritiken (4)

Berliner Zeitung 9. April 2001

Orchester, warum hast du so einen dicken Bauch?
Claudio Abbado hat Verdis "Falstaff" für die Salzburger Osterfestspiele neu produziert
Klaus Georg Koch
Vor drei Jahren hat Claudio Abbado den "Falstaff" von Giuseppe Verdi an der Staatsoper Unter den Linden aufgeführt. Man freute sich damals über die Eleganz des Dirigats, über das Feuer, mit dem Abbado die Sänger auf der Bühne führte, über das farbenreiche, ausgeglichene, reaktionsschnelle und präzise Spiel der Staatskapelle. Die Premiere jenes 15. Februar 1998 war dennoch kein Wurf, darstellerisch war kaum etwas geleistet, die Inszenierung Jonathan Millers illustrierte, reihte einen Allgemeinplatz an den andern, dem Sinn der Komposition ging keiner auf den Grund.
Seine neue Produktion des "Fal- staff" hat Abbado nun, wie bei den Salzburger Osterfestspielen üblich, mit den Philharmonikern bestritten. Von Abbados eigenem Orchester erwartet man kaum etwas anderes als präzises, farbenreiches, virtuoses Spiel, darüber hinaus überboten die Berliner Philharmoniker das Orchester der Berliner Staatsoper bei der Premiere am Samstag noch in Brillanz. Wieder beeindruckte die Klangfülle am Ende von Falstaffs Monolog über den Begriff der Ehre, wieder zog die musikalische Dramaturgie der Szene zwischen Falstaff und Ford in Bann. Aus dem Stand heraus legten die Philharmoniker die aberwitzigsten Figurationen hin, atemberaubend die Jagd auf den dicken Ritter im Finale des zweiten Akts.
Der eine Grund, warum Abbados neuer "Falstaff" nicht das Ereignis geworden ist, das frühere Arbeiten von diesem Dirigenten eigentlich hätten erwarten lassen, ist rein musikalischer Natur. Abbado beginnt das Stück, als solle die Form in Verdis doch äußerst antiformaler Oper wie in der klassischen Symphonie aus Gegensätzen entstehen. Auf dem Dirigentenpult selbst noch nicht richtig zum Stehen gekommen, lässt Abbado den Eröffnungs-Akkord nach der regelwidrig betonten zweiten Zählzeit abreißen wie bei einer Explosion, und atemlos geht er darüber hinweg, dass Verdi auch das Abreißen auskomponiert hat, mehrfach, mit einem Anspruch auf Erklingen. Wenn nach 25 Takten die Musik sich ein wenig beruhigt, setzen die Streicher zweitaktige Legato-Bögen dagegen. Nur ist die zweitaktig aufsteigende Figur der Streicher keine Entgegensetzung aus dem Nichts: sie ist die Vergrößerung jenes Motivs, das aus den Explosionen des Beginns bereits hervorgeht, und so verdeutlichen die Takte dieser Eröffnung, was Kontrast und Gegensatz in dieser Oper eigentlich bedeuten: Folgen der musikalischen Dramaturgie, nicht Generatoren der Form.
Tatsächlich verläßt Abbado seinen Ansatz noch im Verlauf des ersten Akts. Die sprechend instrumentierte Passage, in der Falstaff darüber spekuliert, er wäre ohne seine Leibesfülle nicht er selbst, wird noch nach dem Prinzip des Gegensatzes ausgeführt: Cello und Flöte, die miteinander die gleiche Linie spielen, treten klanglich nicht in Bezug. Verdi will aber gerade den Zusammenklang, er soll die Leere zwischen den Instrumenten, den Mangel an orchestraler Leibes-Fülle hörbar machen. In der Folge tut Abbado dann das, was er einzigartig kann: Er vermittelt ohne Begriff die verschiedenen Klänge der Instrumente, die Bewegungs- und Affektformen der dramatischen Partitur. Alles ist dann da in diesem Dirigat, Verdis Tempobezeichnungen werden beachtet, auch wo es nicht selbstverständlich scheint; noch die kleinen Details der Nebenstimmen sind artikuliert, auf geheimnisvolle Weise ohne die Fülle der Erscheinungen gleichgültig klingen zu lassen. Wieder hört man gerne zu. Aber man fragt sich auch, was es soll. Das Geheimnisvolle dieses Dirigats wirkt stärker in anderer Musik, da, wo die Fülle der Erscheinungen im Zusammenhang einer diskursiven Logik oder einer architektonischen Ordnung aufgeht - in den Symphonien von Beethoven oder Brahms, selbst noch bei Mahler.
Daneben hat Abbado in den letzten Jahren einen starken Sinn für das rein Stoffliche und Elementare des Klangs entwickelt. Auch das wirkt in Werken wie "Tristan", "Simon Boccanegra" und zuletzt Verdis "Messa da Requiem" stärker als im "Falstaff", der auf filigrane, fast abstrakte Weise ein Spiel mit der Form ist, eine in Spiel aufgelöste Architektur, zu der die illustrativen Seiten des Klangs in oft nur ironischem Verhältnis stehen.
Anders gesagt: Wie vor drei Jahren in Berlin, hat Abbado jetzt in Salzburg mit seinem Regisseur Declan Donellan die Frage nach dem Sinn der Komposition nicht gestellt. Es wird wieder viel geblödelt auf der Bühne, es wird mit den Armen gerudert und Zeigefinger werden in die Höhe gereckt, das Geblödel wird für Komödie gehalten. Aber Verdi ist tausendmal subtiler: Ford etwa klagt im zweiten Akt über die Ehe als Hölle und über die Ehefrau als Dämon, mit großem Pathos, in den Formen der Tragödie, mit betonten, ausdrucksvollen Vokalen, von den Streichern lamentos unterstrichen. Nur die Soloflöte umtrillert die Szene mit, wie Shakespeare sagen würde, malicious mockery, leicht zu übersehen. Hier liegt der Sinn, schon in der Partitur, aber um ihn zu finden, müsste man einen Regisseur beschäftigen, der auch lesen kann, nicht jemanden, der es für witzig hält, Falstaff vor den Frauen eine Perücke überziehen zu lassen, wo der Ritter selbst doch nur darüber klagt, er habe graue Haare.
Weder die Form der Erzählung ist dem Regisseur klar, noch ihr Inhalt. Redet Falstaff im ersten Akt von den Gegenständen seiner Begierde, lässt Donellan die jeweilige Frau gleich über die Bühne spazieren: Der eigentliche Auftritt der Solistinnen im Kollektiv, gegen alle Tradition der ialienischen Oper, ist damit vermasselt. Umgekehrt bleibt Falstaff später auf der Bühne, wenn seine präsumtiven Liebhaberinnen einander die Liebesbriefe vorlesen. Auf keinen Fall dürfte Falstaff aber anwesend sein, wenn sich die Frauen verständigen - so kann ihr Komplott nicht mehr funktionieren.
Die eigentlichen Fragen - wen repräsentiert Falstaff im Verhältnis zu der bürgerlichen Gesellschaft, die lustvoll ihre Sittlichkeit verteidigt - werden gar nicht erst gestellt: So bleibt der bisweilen falstaffisch dicke, oft geisterhaft springende Klang des Orchesters (die Proben hat der Berliner Steuerzahler bezahlt) nur eine Tatsache ohne Bedeutung und seiner tieferen Wirkung beraubt. Es ist auch ein Problem, dass Sänger wie Ruggero Raimondi, Massimo Giordano, Enrico Facini, Anthony Mee, Anatoli Kotscherga anders singen, als das Orchester spielt. Die Philharmoniker spielen präzis und konzentriert, die Sänger wabern in den riesenhaften Raum. Es passt nicht zusammen, und man mag auch das als Indiz verstehen, dass über das Ganze dieser Produktion nicht viel nachgedacht worden ist.

Giuseppe Verdi
Falstaff -
European Festival Chorus
Regie: Declan Donnellan
Bühnenbild und Kostüme : Nick Ormerod

Sir John Falstaff: Ruggero Raimondi
Ford: Lucio Gallo
Fenton: Massino Giordano
Dr. Cajus: Enrico Facini
Bardolfo: Antony Mee
Pistola: Anatoli Kotscherga
Mrs Alice: Ford Carmela Remigio
Nanetta: Dorothea Roschmann
Mrs Quickly: Larissa Diadkova
Mrs Meg Page: Stella Doufexis

Berliner Philharmoniker
Dirigent: Claudio Abbado