SALZBURG 2001

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Salzburg 2001

Premiere Kritiken (6)

Salzburger Nachrichten 9. April 2001

Alles ist eigentlich nur Spaß

Claudio Abbado eröffnete seine vorletzten Salzburger Osterfestspiele am Samstag mit Verdis "Falstaff". Am Ende machte er vergnügte Miene zum amüsanten Spiel.

KARL HARB
Ja, das ist es in erster Linie: amü-sant und nett. Vor allem in den ersten beiden Akten ereignet sich auf der geschickt verkleinerten Bühne des Großen Festspielhauses allerlei Komödiantisches. Das bringt Sir John Falstaff in Gestalt des routinierten Ruggero Raimondi von sich aus ein. Das ist einer, der mit Figur und Rolle lange vertraut ist und der sich seine Späßchen durchaus zurecht gelegt hat. Wenn er in seiner Fantasieuniform bei Mrs. Alice Ford Tanzschritte einlegt, so macht das sofort den erwünschten komischen Effekt. Die Premierengäste neben mir haben über jeden Joke stillvergnügt gelacht.
Der Bauch ist natürlich stattlich unter dem durchgehenden Body. Und der Morgenmantel von einem aufreizenden Rot. Kugelrund und anscheinend potent ist dieser seltsame, lächerliche Gockel, daran gibt's keinen Zweifel. Und wenn er sein Toupet aufsetzt, schaut er attraktiver und frischer aus als man denkt.
Die kleinbürgerliche
Windsor-Gesellschaft

Seine beiden Diener, Bardolfo und Pistola, sind auch ein herrlich komisches Paar. Anthony Mee ist der kleine Dicke, Anatoli Kotscherga der lange Dünne. Sie spielen auf Teufel komm raus selbst noch in der Applaus-Auftrittsordnung. Pralle Figuren sind das, so recht nach dem Maß des handgreiflich Komischen.
Und all die (Klein-)Bürgertypen in ihren spätbürgerlichen Habits. Mrs. Alice Ford (Carmela Remigio) trägt ihre Reize ganz schön zur Schau, Mrs. Quickly (Larissa Diadkova), klein und rund und bei jeder Gelegenheit an einem Schal strickend, zieht auch die Fäden (!) der Intrige und orgelt ihr "Reverenza" mit beachtlichem Volumen. Mrs. Meg Page (Stella Doufexis) ist ganz graue Maus. Ist das womöglich das letzte Abenteuer der drei "lustigen Weiber"?
Und die feinen Herren der Gesellschaft? Ford (Lucio Gallo, elegant und allzu leicht) voll aufgesetzter, maskierter Eifersucht, Dr. Cajus (Enrico Faccini) der ewige, zuletzt noch bösest düpierte Zweite, Fenton (Massimo Giordano): der einzige mit Gefühl?
Denn Nanetta (Dorothea Röschmann), die Tochter der Fords, spielt mit und hat doch andere Interessen: ihren Liebhaber, mit dem sie sich - eine dieser vielen, unglaublich feinen Details in Verdis genialem Alterswerk - wie "zwischendurch" immer wieder zu lyrischen Liebesbezeugungen treffen kann, für die sogar in den verzwicktesten Ensembles Platz ist. Denn "Falstaff" ist die Ensembleoper par excellence - und alle Mitwirkenden (inklusive Chor, Ballettkinder und Statisterie) spielen dementsprechend: ein angemessenes Ganzes.
Musikalisch hat Claudio Abbado sehr feinsinnig, zärtlich, humorvoll, delikat, übersichtlich und detailreich mit den Berliner Philharmonikern und im Kontakt zur Bühne gearbeitet.
Klangliche Ordnung im
Komödien-Gewusel

Es herrscht Ordnung im komö-diantischen Gewusel (wir sprechen immer noch vom ersten Teil!) und eine Durchsichtigkeit der musikalischen Faktur, die motivischthematische Zuordnungen jederzeit ohrenfällig treffen lässt. Das Burleske kommt dabei nie zu kurz. "Falstaff" wird zu Verdis mozartischster Oper. Abbado duldet keinen orchestralen Schnickschnack. Er hält die Zügel straff, die Phrasen werkgerecht knapp, ohne je der Musik die Luft abzuschnüren. Es pulst und atmet, dieweilen auf der Bühne, windsorischshakespearelich, emsige Beweglichkeit herrscht.
In diesem ersten Teil bietet Declan Donnellan, der Regisseur, durchaus einige Schauspielkunst auf, die sich mit dem Gang, besser: Lauf der Musik deckt. Allein wie die Windsor-Gesellschaft trippelt oder eilt oder - die Choreografie der Konstabler - fast slapstickartig farcenhaft den Raum besetzt, hat schon seine lustigen Reize. Die Lichtregie sichert zusätzliche, wenngleich nicht immer einleuchtende Effekte. Kurzweilig geht's zu.
Aber auch tiefsinnig? Ach ja, das ist eben das Kreuz dieser Aufführung, deren Komik so kreuzbrav bieder "aufgeführt" wird, dass man darüber (oder besser: darunter) die melancholischen, bitteren, lebensklugen und altersweisen Töne schier gar nicht hört. Das Leben schnurrt ab, aber es hat keine Dimension. Was heißt es, wenn Falstaff, der "alte John", auf die "Ehre" pfeift, den Sack schlägt, aber den Esel meint? Der demütigt, wird gedemütigt. Wie ein Stück Wäsche wird er in die Themse geschüttet. Sein Bauch rettet ihn zwar, und der Wein richtet ihn schon wieder auf. Aber ist er tatsächlich noch derselbe? Mondo ladro, mondo reo: missgünstige, schändliche Welt. Raimondi aber bleibt Raimondi.
Und es kommt noch schlimmer. In seinem Liebeswahn lässt sich Falstaff sogar, im mitternächtlichen Wald, zum Gehörnten machen und zum Gespött. Tutto nel mondo e` burla: Alles auf der Welt ist Narrheit. Durch welche Tiefen aber muss man hindurch, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen? Es ist die bittere, schier endgültige Weisheit, die Verdi mit der kunstvollsten musikalischen Form, der Fuge, behandelt - und sie ist wahrhaft komisch im Moment ihres Auftretens und, finalmente, erlösend. Fuga heißt aber auch: Flucht. Aus der Wirklichkeit? In die Wirklichkeit?
Existenzielle Fragen
werden nicht gestellt

Seit je stellt gerade das "Falstaff"-Finale existenzielle Fragen. Wer sie nicht beantwortet, ja, wer nicht einmal einen Lösungsansatz anzubieten hat, scheitert an Stoff und Werk. Was passiert bei Declan Donnellan, im nicht vorhandenen Wald von Ausstatter Nick Ormerod? Schlichtweg nichts. Der dritte Akt: eine Nullnummer. Das Finale: Ein Spaß der Bürger allenthalben, den man bei eilends festlich gedeckter Tafel vergisst. So "einfach" ist die Welt leider nicht.
Schade, dass auch Claudio Abbado an diesem (und an anderen) entscheidenden Punkt(en), den Monologen des Falstaff vor allem, musikalisch der szenischen Banalität nichts entgegenzusetzen hat. So pointiert er Situationen ausmusiziert, so flächig bleibt er in der Essenz der Geschichte.
Der neue (im Sommer wieder aufzunehmende) "Falstaff" in Salzburg: ein heiterer, leichtfüßiger, mühelos errungener Erfolg. Für Verdis doppeldeutiges, erschütternd vergnügliches, lakonischknappes opus summum ist das, unterm Strich, doch um Entscheidendes zu wenig.

Salzburger Nachrichten 12. April 2001

Zurückeroberte Energie
Osterfestspiele: Claudio Abbado beeindruckte erneut durch seine ergreifende Beethoven-Exegese mit dem Berliner Philharmonischen Orchester.

REINHARD KRIECHBAUM
Will
uns Claudio Abbado in Beethovens "Vierter" die Verwandtschaft oder doch eher den Gegensatz zu den benachbarten Werken, zur "Eroika" und zur "Schicksalssymphonie", zeigen? Dass man darauf keine eindeutige Antwort erhält und doch so ungemein beschenkt, entschieden reicher an Beethoven-Erfahrung aus den Konzerten geht - das ist wohl das Denkwürdige an Abbados derzeitiger Beschäftigung mit diesen Werken. Es rundete sich in diesem Sinn am Dienstag der Eindruck, den man zwei Tage zuvor von der "Siebenten" mitnahm. Unübersehbar waren die zurückeroberte Energie und Abbados eiserner Wille zur Konzentration in diesen Beethoven-Programmen bei den Osterfestspielen. Er war ja war immer ein großzügiger Chef, einer, der den Dingen gerne ihren Lauf ließ und jovial auf die Intention des Augenblicks zählte. Das einmal auf CD Aufgenommene wurde da und dort wiederholt und lebte dann eher aus der Gunst der Stunde wieder auf.
Das ist jetzt völlig anders. Claudio Abbado scheint sich vehement einzumengen. Schon wenn man ihm beim Dirigieren zusieht, erfährt man viel über die Musik und ihre Feinmechanik. Das Berliner Philharmonische Orchester (insbesondere die Solobläser) hängt an seinen Händen, reagiert akkurat - und Abbado hat seine Hände, Augen und Ohren schier überall! Beachtliche Energie-Potentiale werden entfesselt, zugleich wird die melodische Palette in sagenhaft ausgeklügelten Farben aufgemischt. Die Dialektik aus rhythmischer Elementarkraft und lyrischer Rückbindung wird ausgereizt.
Im Fall der Instrumentalkonzerte hatten die Solisten das erste Wort: Am Dienstag suchte Maxim Vengerov die geigerische Extravaganz. Es war schier erstaunlich, wie expressiv dieser Musiker selbst kantable Nebengedanken aufheizte und wie er dann (meistens) doch wieder zurückfand zu jener Lyrik, die Abbado mit dem Orchester feingliedrig aufbreitete. Ohne Frakturen ging das nicht immer ab: Es gab spannende Bruchstellen, bedingt durch Auffassungsunterschiede, aber auch einige Unpünktlichkeiten. Man kann Vengerovs Spiel nun als aufregend und eigenständig in den Himmel loben oder als eitel und selbstverliebt rüde ablehnen: Das ist fast eine Glaubensfrage. Die Zuhörer jedenfalls schienen mehrheitlich außer sich vor Begeisterung.
Maurizio Pollini gestaltete den Solopart in der "Chor-Fantasie" wesentlich differenzierter als das Fünfte Klavierkonzert zwei Abende zuvor. Man hörte wohl, dass das auch für ihn eine besondere Auseinandersetzung war - auch er spielt das ob seiner bizarren Besetzung selten aufgeführte Werk ja nicht alle Tage. Nicht nur die lange Klavier-Einleitung fordert den Solisten heraus, wo indes schon die Weichen gestellt werden müssen: Pollini ließ sich lustvoll ein auf das Hinüberkippen von den marschartigen Eröffnungstakten in verspielt anmutendes Figurenwerk, so wie er im weiteren Verlauf orchestrale Gedanken differenziert weitergesponnen hat. Die "Chor-Fantasie" hält ja bizarre Instrumentationsideen bereit; jede Variation ist da eine eigene Herausforderung.
Ist die "Chor-Fantasie" nun eine Art Vorstudie zur "Neunten" oder ein sehr eigenes Werk, das freilich auch in sehr genauer Aufschlüsselung wirkt, als ob ihm einige vorhergehende Symphoniesätze abhanden gekommen wären? Eine attraktive Festmusik ist's allemal, der Text stimmt Solisten, Chor und Publikum gleichermaßen auf Festesstimmung ein. Die sechs Solisten verschmolzen ebenso zum homogenen Ensemble wie der straff und effizient geführte "European Festival Chorus".