Wanderer's Erzählungen



Sommer 2002: Mit der Gustav Mahler Jugendorchester


Der Wanderer auf den Spuren des GMJO



Erneut hatte der Wanderer unglaubliches Glück: nicht nur war es ihm vergönnt, die Tournee der Berliner Philharmoniker im Mai diesen Jahres durch Italien begleiten zu können, sondern auch jene des Gustav Mahler Jugendorchesters im August. Voller neuer Eindrücke und vor allem voller Dankbarkeit ist er nun zurückgekehrt.

Eigentlich hatte ja alles bereits Ende Juli in München begonnen. Dort fanden öffentliche Proben des Orchesters statt. Es war absolut faszinierend diesen beizuwohnen, denn beobachten zu können wie Abbado ein neues Werk mit diesen jungen Musikern angeht, wie er einerseits mehr Erläuterungen gibt als bei den Berlinern, andererseits jedoch keine Zugeständnisse, weder an das Alter noch an die Unerfahrenheit der jungen Leute macht, ist ein Erlebnis für sich.

Die ersten beiden Vorstellungen des 'Parsifal' im Festival Theatre von Edinburgh waren durchaus beeindruckend, auch wenn man am Ende des Abends spüren konnte, daß ein so langes Werk den Musikern an die Substanz ging. Das Gegenteil hätte einen überrascht. Einige kleine Unsauberkeiten haben die Kritiker aber nicht davon abgehalten, das Orchester einhellig zu loben. Am dritten Abend jedoch, nach einem etwas unebenem Beginn, spielte das Orchester traumhaft schön - im 3. Akt sogar perfekt. Dies zeigte, daß das Orchester zu einer großen Leistung fähig ist - sobald sich die Musiker einerseits aneinander und zum anderen an die Dimensionen des Werkes gewöhnt hatten.

Die Inszenierung von Peter Stein wies gegenüber Salzburg nur kleine Veränderungen auf und sie passte sogar besser in dieses Haus, da dieses eine kleinere Bühne als Salzburg hat.

Bevor das Orchester Schottland verließ gab es noch ein Konzert in der Usher Hall. Welch ein Kontrast! Anstelle großer Gefühle und Einfühlungsvermögen galt es hier die technischen Fähigkeiten bezüglich Tempi, Rhythmus und Genauigkeit unter Beweis zu stellen. Auf dem Programm standen zwei Werke, die Abbado bis anhin noch nie dirigiert hatte: die 'Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta' von Bela Bartok und 'La Mer' von Claude Debussy. Dazwischen das Klavierkonzert von Maurice Ravel mit einer langjährigen Vertrauten am Flügel, Martha Argerich. Der Wanderer mußte zu seiner großen Überraschung feststellen, daß das Orchester innerhalb kürzester Zeit fähig war, zwei vollkommen unterschiedliche Facetten zu zeigen - und beide gleich überzeugend. Als Zugabe spielte das Orchester dann noch den Schluß aus Igor Strawinskys 'Feuervogel'.

Die nächste Station war London mit den Henry Wood Promenade Concerts, auch 'Proms' genannt. Abbado bei den Proms zu erleben ist stets von Neuem eine Freude ohnegleichen. Er liebt dieses Publikum, das jeden Tag erneut stundenlang in der Schlange ansteht, um Konzerte zu hören, das diesen riesigen Saal ausfüllt und das lauthals seine Begeisterung hinausschreit, aber andererseits auch so leise und konzentriert sein kann wie wenige andere. Wie zu erwarten wurde das Konzert ein triumphaler Erfolg und das Publikum mit zwei Zugaben belohnt - dem Karfreitagszauber aus 'Parsifal' und oben bereits erwähntem Strawinsky. Von bestimmten Werken abgesehen, bei denen sich eine Zugabe von selbst verbietet (z.B. die 9. Symphonie von Gustav Mahler), kann sich der Wanderer nicht erinnern, daß Abbado je weniger als zwei Zugaben bei den Proms gegeben hätte.

Danach hat das Orchester die Britischen Inseln verlassen und seinen Weg Richtung Salzburg eingeschlagen. Gleiches Programm, gleich begeistertes Engagement - wunderbar mit anzusehen. In Salzburg waren zwar nicht so viele junge Leute im Publikum wie in London, dies tat dem Jubel jedoch keinen Abbruch.

Es folgte der obligate Auftritt in Luzern, ab nächstem Jahr das neue Mekka der Abbadiani. Hier stand erneut 'Parsifal' auf dem Programm, jedoch in einer konzertanten Version, die mit sorgsam ausgewählten szenischen Elementen bestückt war. Dieser Abend war so denkwürdig und unvergleichlich, daß er eine separate Abhandlung verdient. Diese wird noch von einem weiteren Wanderer verfaßt werden, der das Glück hatte, sich in Luzern zu uns gesellen zu können. Wir möchten nur erwähnen, daß mehrere Orchestermitglieder am Ende der Tournee auf die (zugegeben einfältige) Frage nach dem größten Erlebnis antworteten: Luzern!

Dann die letzte Etappe dieser Tournee: Bozen. Der Wanderer hätte eigentlich, ähnlich wie schon in Wien im vergangenen Mai beim Abschied Abbados von den Berlinern, sehr traurig sein müssen, denn dies würde das letzte Konzert vor dessen langer Ruhepause werden. Aber das Gegenteil traf ein. Die Heiterkeit, die Freude, die gute Laune aller im Orchester war ansteckend. Und es war offensichtlich, daß alle große Freude hatten, zusammen zu musizieren. Die große Begeisterung aller schlug sich in zwei Zugaben nieder. Vor der Pause wurde der 3. Satz von Ravels Klavierkonzert wiederholt, und - ähnlich wie im Jazz - standen alle Musiker bei einer Solostelle auf. Sogar Martha Argerich erhob sich und zum Schluß alle Streicher. Der ganze Saal brach in Gelächter aus und das Orchester freute sich über die gute Stimmung. Zum Abschluß gab es (wie nach allen Konzerten) den Strawinsky, gefolgt von einer feurigen Zugabe des Orchesters - ohne Dirigent!

So endet für Abbado ein an Auftritten überreiches Jahr und es bleibt dem Wanderer, so wie allen Abbadiani (und eigentlich allen Konzertbesuchern) nur übrig, sich zu bedanken. Ein großes herzliches 'Dankeschön' für das unglaubliche Glück, solch außergewöhnliche Momente miterlebt haben zu dürfen. Nachdem er sich voller Energie seinen Verpflichtungen gewidmet hat, kann sich Claudio Abbado nun ein wenig ausruhen und neue Kräfte sammeln. Wie könnte man solche Erlebnisse vergessen und es dabei versäumen, seine tiefe Dankbarkeit für derart große musikalische Erlebnisse zum Ausdruck zu bringen?