SALZBURG 2002

Die Artikel der Presse über Parsifal (Salzburg 2002).

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Salzburg 2002

Premiere Kritiken (11)

Berliner Morgenpost, 25.März 2002


Abschied mit Seifenblasen
Claudio Abbado beendet seine Zeit bei den Salzburger Osterfestspielen mit Peter Steins «Parsifal»
Von Manuel Brug

Männerbündische Verbiestertheit: Thomas Moser in der Titelpartie (r.) in Wagners Gralsuche «Parsifal», mit der die Salzburger Osterfestspiele eröffnet wurden.

Foto: dpa
S
chön, aufregend, anrührend, tröstlich ist an diesem seltsamen Salzburger Osteropernereignis der Blick auf Claudio Abbado. Vom dämmrigen Schein aus dem Graben gemeißelt wie ein Caravaggio-Schädel, dramatisch beflackert von der mal präzise kleinen, mal weltumarmend ausufernden Gestik seiner Hände. Das Ohr macht weit: Aus dem Nichts erhebt sich das «Parsifal»-Vorspiel, licht, ruhig, aber rasch pulsierend atmet es Gralsgedanken, nimmt Erlösung vorweg.

Der scheidende Chefdirigent der Berliner Philharmoniker dirigiert sein Orchester in ihrer letzten gemeinsamen Opernproduktion mit Sorgfalt und Delikatesse, gespannt, doch souverän entspannt. Den Sängern reichen wenige, ohne Text gegebene Einsätze.

Sie sind alle rollenerfahren, die fraulich-sinnliche Violeta Urmana (Kundry), der altväterlich durchschlagskräftige Thomas Moser (Parsifal), Hans Tschammer (Gurnemanz), Albert Dohmen (Amfortas), Markus Hollop (Titurel) - diese drei plastisch, voluminös, aber ohne letzte, durch Mitleid wissende Identifikation. Die wunderbaren Instrumentalisten folgen sowieso fast blind.

Chretien de Troyes, Wolfram von Eschenbach, Wagner, Schopenhauer, Buddha, Nietzsche, Feuerbach - der rational gestimmte, dann wie im November in Berlin sich im dritten Akt sensuell im Leisen wie im martialisch Lauten verausgabende Abbado scheint dort im Halbschatten alles zugleich: reiner Tor, eifersüchtiger Gralshüter, getreulicher Chronist, flackernde Höllenrose. Er ist das Zentrum, Sinn und Zweck, wenn sich schwebende Harmonien auflösen, Diatonik und Chromatik klarsichtig und wirkungsmächtig verschmelzen. «Otello», «Simon Boccanegra», «Tristan», «Falstaff», «Parsifal», Verdi und Wagner, Spiele vom Ende der Zeit, liebevoll, dunkel, komisch, tragisch, philosophisch - ein Salzburger Opernkreis schließt sich hier auf köstliche wie diskrete Weise.

Leider, selbst bei den traditionsgestählten Osterfestspielen, über denen nach wie vor der lange Schatten ihres Gründers Herbert von Karajan schwebt, gibt es neben den Wunderdingen im Graben ein Bühnengeschehen. Das gefällt nicht. Mehr noch: Es stößt sauer auf. Ob seiner stellprobenhaften Personenregie wie auf Oblatenbildchen; seiner männerbündischen Verbiestertheit; seinen pseudofrommen Ersatzritualen; seiner Frauenfeindlichkeit plus schwitziger Erotik.

Peter Steins reclam-gerechte «Parsifal»-Zurichtung folgt den 120 Jahre alten Regieanweisungen in Nibelungentreue fest. Scheinheiliger wird es in Richards Weltabschiedswerk auch zu Lebzeiten der Hohen Frau Lordsiegelbewahrerin Cosima zu Bayreuth nicht zugegangen sein. Nicht einmal mehr auf Wolfgangs interpretatorisch augenblicklich dürrem Grünen Hügel würde man sich heute ein ähnlich gedankenfaules, vorgeblich naives Bühnenweihfestspiel getrauen.

Es wird geschlurft, geschritten, gekniet, den Blick stets gen Himmel. Der von Parsifal geschossene Schwan juckelt am Draht zu Boden, so wie auch Klingsors Speer in Parsifals Hand als fad misslungener Theatertrick. Die pünktlich blutende Kastrationswunde des Gralsherrschers Amfortas ist schicklich an der rechten Brust platziert. Die Blumenmädchen sind erst ein in Betttücher gewickelter Griechinnenchor, dann Carmen-Brigade im Nachthemd. Kundry liegt als wildes Fetzenweib in der Ecke, mutiert später - wie der Gral dreifach verhüllt - in blauen Schleiern überm roten Muttikleid zur Madonna im Paradiesgärtlein. Lachend vor dem sterbenden Heiland schuldig geworden, kann sie zwar vom zum neuen Gralskönig gesalbten Parsifal (hinter dem just ein monströser Heiligenschein aufgeht) getauft werden. Wird freilich der nicht immer à la minute einfallslos rotglühende Gralskelch enthüllt, hat sie wie gehabt (und längst nicht mehr geglaubt) entseelt zu Boden zu sinken. Keine Vergebung, nirgends.

Das alles ereignet sich ausgerechnet in meist öd modernistischen, skulptural gemeinten Bühnenbildern von Gianni Dessi, der auch schon einen römischen Autotunnel verziert hat. Die fade mittelalternden Kostüme (Anna Maria Heinreich) passen sich anspruchslos an. Erst gibt es einen nordischkahlen Märchenwald, changierend zwischen Munch, Appia und Rudolf Steiner, immerhin mit farbig glühendem See. Dann einen faschistoiden Tempel aus Betonschalen, darin drei Etagen Gralsritterfächer. Klingsor (der dafür zu hell timbrierte Eike Wilm Schulte) lauert wie Herodes auf der Zisternentreppe und schaut auf eine Radarschüssel. Sein Zaubergarten ruckelt als auf schräger Spannplatte aufgepflanzte, zum Miniaturlabyrinth beschnittene Buchshecke nach vorne. Schließlich leuchtet die anfangs seifenblasenbesprühte Karfreitagsaue knallblau, links das Biwak von Gurnemanz, rechts die Kundry-Müllhalde, dazwischen ein monströser Quellkrater. Metaphysik als Theaterpappe.

Die Salzburger Osterfestspiele - noch mehr als sonst - ein Ort dekorativ rückwärtsgewandter Opernzelebration. Die einstigen Bilderstürmer und Avantgardisten Stein (ausgebuht) und Abbado (bejubelt) als verknöcherte Renegaten, verbitterte Konservative. Ob gerade Claudio Abbado 1994, nachdem er damals den Interimsleiter Georg Solti hinauskomplimentiert hatte, sich so das Ende seines hoffnungsfroh modernistisch gestimmten Anfangs vorgestellt hätte? Der damalige, sensationell die riesige Bühne auskostende «Boris Godunow» von Herbert Wernicke: Es war leider schon die beste Regietheaterzeit.

Trotz nicht genug zu preisender musikalischer Meriten: Was szenisch folgte, waren manierliche Steins («Wozzeck», «Simon Boccanegra»), ein müder Grüber («Tristan und Isolde») und ein paar Dekorateure. Die fein moderne Kammerkonzertreihe «Kontrapunkte» ist zum Feigenblatt geschrumpft, die Preise für junge Komponisten und Literaten waren stets Klüngel-Event. Dafür gibt es im von Berlin ausgeborgten (und bezahlten) Konzertprogramm gleich zum dritten Mal in Folge das Strauss'sche «Heldenleben». Der Karajan-Virus erweist sich als offenbar unausrottbar.

Ob das unter Simon Rattle ab kommendem Jahr anders wird?

Das zweifelhafte System eines verdeckt subventionierten Berliner Philharmoniker-Privat-Festivals vermag zunächst auch dieser auf vielen Gebieten erfolgreiche wie smarte Heilsbringer nicht auszuhebeln. Er wird «Fidelio» dirigieren, den hat er schließlich gerade für Glyndebourne gelernt. Mit Nikolaus Lehnhoff hat er einen Regisseur, der das Stück bereits zweimal herausragend inszeniert hat. Auch Haydns «Jahreszeiten» und Mahlers 5. Sinfonie sind bewährte Rattle-Glücksbringer. Immerhin, ein philharmonisches Auftragswerk von Heiner Goebbels, das auch der Salzburg-Society zugemutet wird, lässt hoffen. Schüchtern zumindest.

Berliner Morgenpost, 30.März 2002
Jugendorchester setzt Bruckner unter Dampf
(Berliner Konzert)

Claudio Abbado hat es vor 16 Jahren in Wien begründet: Das vorzügliche Gustav Mahler Jugendorchester. Es kam auf seiner Europa-Tournee, die gerade in Luzern und Köln begonnen hat und nach Prag, Graz, Salzburg und Wien weiterführen wird, mit Bruckners 8. Sinfonie unter Franz Welser-Möst in die Philharmonie.

Das Podium quoll über vor junger Vorzüglichkeit. Das Gustav Mahler Jugendorchester ist schon jetzt eine denkwürdige Gründung. Gerade im sparwütigen Berlin macht es deutlich, dass man bei der Förderung junger Talente nicht knausern darf, will man nicht die Zukunft verspielen. Freilich steht dieses Orchester unter der Schirmherrschaft eines Fünferrats von europäischen Präsidenten, amtierenden oder solchen im Ruhestand.

Unter Abbado bootet das Jugendorchester im Herbst bei den Edinburgher Festspiel-Repliken der österlichen Salzburger «Parsifal»-Aufführungen sogar die Berliner Philharmoniker aus. Es ist inzwischen so etwas wie das Aushängeschild einer vielleicht zukunftweisenden musikalischen Globalisierung. Es steht zudem unter dem Patronat des Europarates.

Das Orchester sah sich am Ende seines Berliner Konzerts mit Recht gefeiert. Es hatte Bruckner unter jungen Dampf gesetzt, mit Vehemenz aufgewartet, in allen Sektionen seines Apparates glänzend bestanden. Freilich neigten die mächtigen Streicherchöre auf Kosten der Sangbarkeit ein wenig zur Schrillheit. Die Trompeten schmeichelten mit ihrer hervorberstenden Verve den Ohren nicht immer. Doch legten die zwölf Kontrabässe, von Berlins Ex-Philharmoniker Rainer Zepperitz unterwiesen, ein sonores Bass-Fundament. Die Hörner und Tuben bliesen sich geradezu die Seele aus den jungen Leibern.

Delikat zeichnete die Solo-Oboe ihre Linien, prachtvoll musizierten die Pauken. Von Satz zu Satz steigerte sich die Intensität, gleichzeitig die innere Wahrheit des Vortrags. Mit dem Adagio hatte sie einen ersten Höhepunkt der Herzenswärme erreicht. Sie vermochte ihn mit der Majestät des Finales noch zu übersteigern: ein Vortrag in großer Form. Gtl.

Berliner Morgenpost, vom: 30.03.2002