SALZBURG 2002

Die Artikel der Presse über Parsifal (Salzburg 2002).

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Salzburg 2002

Premiere Kritiken (14)

Frankfurter Rundschau, 25.März 2002

Leichte Hand eines Klangalchimisten
Claudio Abbado und Peter Stein mit "Parsifal" zu den Salzburger Osterfestspielen
Von Hans-Klaus Jungheinrich

Die Salzburger Osterfestspiele wurden von Herbert von Karajan 1967 als eine Wagner-Spielstätte ganz nach seinem eigenen Geschmack gegründet, gewissermaßen als Gegen-Bayreuth. Mit den Berliner Philharmonikern "erbte" Claudio Abbado auch die Osterfestspiele und öffnete sie (deren Wagnerbezug sich schon vorher gelockert hatte) vorsichtig programmatisch. Nach neun Jahren beendet Abbado nun auch diese Arbeit, und er verabschiedet sich in Salzburg doch noch einmal mit Wagner: mit dem Parsifal, Wagners kunstreligiösem Testament, dem christlich-panreligiös-schopenhauerischen Erziehungsmysterium oberster Güte: "Durch Mitleid wissend, der reine Tor", Adels- und Rittertugend, der Zauber der "entsündigten" Natur, der ewige Jude als Weib. Vieles, von dem der umtriebige Wagner umgetrieben wurde, ist nochmals und neu in dieses Finalwerk hineingebacken, wundersam und problematisch. Peter Stein inszenierte.

Für den Dirigenten Abbado, den Freund der Moderne, ist Parsifal vor allem wohl ein Schwellen- und Aufbruchwerk zum 20. Jahrhundert hin, eine Musik äußerster geistiger Verdichtung und magischer Rationalität. Klangalchimie und harmonisches Raffinement der Partitur sind kaum zu übertreffen. Der nahe liegende Verweis auf Debussy stempelt den Wagner des Parsifal nicht zu einem Vorläufer, setzt ihn aber berechtigterweise noch von seiner eigenen "opernhafteren" früheren Produktion ab. Der überwiegend undramatische Parsifal-Gestus nähert sich auch bei Abbado dem Impressionistischen, behält dabei flüssige, bewegliche, biegsame Konsistenz, verzichtet durchweg auf pathetischen, gar teutonisch trumpfenden Nachdruck, auch auf demonstratives Auszelebrieren von Feierlichkeit, so bereits im Orchestervorspiel, dessen sehrend-wundes Melodiegeschlinge sich ohne größere Knotenbildungen ver- und entflocht. Ruhige, aber altersleichte Dirigentenhand.

Fast sanft in seinen zartfarbenen Abtönungen glitt der erste Akt vorbei, und in innerer Bewegtheit uneilig wurde das zentrale Zwiegespräch Parsifal/Kundry im Mittelakt ausgelotet. Sprechende Instrumentalkantilenen dann im "Karfreitagszauber" des dritten Aktes, dem der berstend klanggewaltige Trauermarsch samt Männerchor zur Totenfeier Titurels folgt, in Salzburg diesmal (allzu) effektvoll angereichert durch die sichtbar dröhnenden Gralsglocken (dunkle metallene Riesenpilze seitlich der Bühne, Platz ist da ja genug): Hinter dieser raumgreifenden tetrachordischen Klangwand drohen selbst die immensen Blechwuchten der Berliner Philharmoniker und die imposanten Stimmkräfte des Arnold-Schönberg- und des Prager Philharmonischen Chores beinahe zu verschwinden. Freilich war es auch nicht uneinleuchtend, wie Abbado an dieser Stelle die klangorganisatorische Perfektion einer radikalen "poetischen" Idee (der die Welt aus den Angeln hebenden Klage) opferte. Zumal ansonsten auch die Raumklang-Sorgfalt (helle Tölzer Knabenstimmen von oben) nichts zu wünschen übrig ließ. Von einem großenteils italienischen Festspielpublikum wurde Abbado gewiss nicht nur aus patriotischen Gründen lebhaft gefeiert: Seine mild leuchtende, mit dem Berliner Philharmonikerklang ungewaltsam sprachmächtige Wiedergabe hatte exzeptionellen Zuschnitt.

Kaum Einschränkungen auch hinsichtlich der Vokalsolisten: Albert Dohmen war ein gemessen expressiver Leidensmann Anfortas, Hans Tschammer ein klar ansprechender Gurnemanz, Thomas Moser ein bis zum Schluss kraftvoller Parsifal, Eike Wilm Schulte ein charakteristisch bleckender Klingsor, Violeta Urmana die facettenreiche, konzentrierte Kundry. Tölzer Knaben auch als Knappensolisten.

Peter Steins Spielleitung hatte merklich nicht die Intention, sich im Sinne moderner Opernregie interpretatorisch zu exponieren. So durfte man provokative oder interessante Lesarten à la Ruth Berghaus, Robert Wilson, Peter Konwitschny oder Peter Mussbach nicht erwarten. Ein schönes, dienendes "Unauffälligwerden" von Inszenierung wie bei Rudolf Noelte kam aber auch nicht so recht zu Stande. Dafür fehlte den Dekorationen von Gianni Dessi (anders als den unscheinbar konventionellen Kostümen von Anna Maria Heinreich) die nötige Unaufdringlichkeit, die beim Gralswald noch vorhanden war, in den Holzkästen des Tempelbildes (warum keine offene Verwandlung?) schon nicht mehr. Ungeschickt im Mittelakt das wie aus Spinatwürsten gekleckerte Heckenlabyrinth, geradezu schnöde der aus arktischer Kahlheit per Beleuchtungsknopfdruck hergestellte "Karfreitagszauber" in Grün. In den gelungeneren Momenten der Personenregie erreichte Stein die Nachdenklichkeit und Herzlichkeit Wolfgang Wagners: beim "fliegenden" Kundry-Auftritt zu Anfang, bei den trauernden, verstörten, einander tröstenden Gralsrittern, bei Parsifals noch zu nichts führendem "Lernversuch" am Ende des Kopfakts. Insgesamt schien es, als nähme Steins Interesse am Stück und seinen Figuren von Akt zu Akt ab. Und so konnte man angesichts wagnergläubiger "Klassizität" auch über den Tod Kundrys verstimmt sein: Wagners "antisemitische" Pointe, buchstabengetreu erfüllt.