SALZBURG 2002

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Salzburg 2002

Kritiken : Der Standard - Drei Artikel

Der Standard, 25.März 2002

Applaus und Unmut für "Parsifal": Gemischte Reaktionen beim Auftakt der Salzburger Osterfestspiele

Applaus für Claudio Abbado bei der Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele. Zahlreiche Unmutsäußerungen jedoch für Regisseur Peter Stein, der Wagners "Parsifal" weitestgehend ideenfrei nacherzählte.

von Ljubisa Tosic

Salzburg - Zu berichten ist zunächst vom Einzug der Wäscheleine in die Wagner-Welt - als Transportmittel: Im zweiten Akt behängt sie Klingsor mit dem Gralsspeer, der Parsifal zugedacht ist; er gleitet hinunter zum nicht mehr naiven Recken, bleibt über ihm allerdings nicht stehen, wackelt samt Leine und rutscht etwas zurück und kommt erst zur Ruhe, als Parsifal sich erbarmt und das kostbare Gerät von der (jetzt eindeutig) Wäscheleine herunternimmt.

Man möchte ob der Lächerlichkeit der Szene - durch unfreiwillig komische technische Umsetzung verstärkt - den Abend beenden. Gelacht hat man genug. Indes, es geht natürlich weiter, Klingsors Reich muss ja untergehen. Parsifal schwenkt also das Ding herum, und ja, welke Blätter plumpsen von oben herab auf den putzigen Irrgarten, in dem der Held zuvor keusch geblieben war.

Angesichts solch trostloser Ideen, wohl im Dienste der Entmystifizierung, darf man froh sein, dass Peter Stein, der sich Wagner nur deshalb widmet, da ihn Claudio Abbado darum gebeten hat, keine weiteren Ideen hatte - sein Unbehagen am Komponisten ist durch routinierte Unbeteiligtheit Szene geworden. Er buchstabiert die Erzählungen und Zeremonien und bleibt Personen-Arrangeur, der Excalibur-Charme versprüht.

Bei Klingsor (profund Eike Wilm Schulte) ist noch etwas Leben in der Figur. Auch bei Kundry: ein geschunden-zerzaustes Geschöpf, leidend vom Ohrläppchen bis zur kleinen Zehe, freilich wenig betörend als Verlockung. Immerhin verfügt Violeta Urmana über Innenspannung und dramatische Vokalkraft - Wortdeutlichkeit wäre dem Ganzen allerdings nicht abträglich gewesen.

Jener allerdings, auf den sie alle warten, ist ein kindlich-aggressiver Lackel, der zumeist in unbewegtem Staunen verharrt. Mit dem Bogen triezt er Kundry, würgt sie auch heftig; aber Thomas Moser (als Parsifal) bleibt doch eigentlich vokal nur im soliden Bereich (zum Schluss hin mit Kraftproblemen ringend) und wird nur in seiner bestenfalls im Repertoirealltag akzeptablen holzschnittartigen Präsenz auffällig. Womit er symbolhaft für Steins Desinteresse am Werk stehen darf.


Nur solide

Keine besonderen Vorkommnisse beim Rest des Ensembles: Albert Dohmen (als Amfortas), Markus Hollop (als Titurel) und Hans Tschammer (als Gurnemanz) wandern über solides Zeremonien- und Leidensgelände. Zunächst umgarnt sie ein angedeuteter Wald, dann ziehen sie ihre Kreise um einen riesigen Tisch, um den herum wiederum die bedürftigen Ritter in riesigen "Bücherregalen" strammstehen (Bühnenbild: Gianni Dessi) und müde werden. Einzig belebend das Licht- und Farbspiel (Lichtdesigner Joachim Barth): Zusammen mit reichlich Weihrauch und Trockeneisnebel versucht es zumindest atmosphärisch zu betören und den riesigen Raum zu nutzen.

Solche Farbspiele hätte man sich vor allem aber im Orchestergraben gewünscht - Claudio Abbados Umsetzung fehlt es jedoch zweifellos auch lange Zeit an Intensität. Sachlich fließen die Orchesterstrukturen dahin, gewinnen erst im dritten Akt Leichtigkeit und Gelöstheit.

Im Grunde lassen sie von Anbeginn an jenen gleißend-glitzernden Klang vermissen, aus dem die Spannung dieser Musik kommen müsste. Monochrom wabert es dahin, Klangschichten, die schillern sollen, hört man nicht; die Liniengeflechte wirken nur angedeutet. Ein wenig fad auf hohem Niveau, zuweilen derb. Und zum Schluss hin mit einem grellen Moment - als wär's von Mussorgski: ein Effekt, den man auch den eigens angefertigten Klangschalen/Glocken aus Aluminium zu danken hat. Kann man hier Klangabsicht unterstellen, ist der "Sound" des Tölzer Knabenchors im ersten Akt wohl auf Überforderung zurückzuführen.

Zu Beginn von Abbados Abschied von den Salzburger Osterfestspielen gab es dennoch Standing Ovations für den Dirigenten. Auffällig dezibelstark sagte das Publikum Peter Stein seine schlechte Meinung. Es war auch dem Auditorium zu viel von zu wenig.


Der Standard, 28.März 2002

Faust und Fäustchen

Claudio Abbado und Christian Thielemann in Salzburg

Salzburg - Wollte man in den Programmen von Claudio Abbados finalen Osterfestspielen eine Brücke zum weihevollen Parsifal schlagen, dann läge es nahe, im Fall von Schumanns wundersam umständlichen Faust-Szenen eine orchestrale, stimmungsbildnerische Wagner-Nähe zu sehen. Lang- wierige Palaver, aber auch die Kraft zu Höhepunkten in Nachbarschaft zu den späten Verfügungen des Bayreuther Übermeisters bestätigen eine gewisse Verwandtschaft.

Claudio Abbado war es, der das auf Verklärung zusteuernde Werk mit der ihm (spät)eigenen Inbrunst, ja Innigkeit auf die Bühne brachte - unterstützt in seinen zwischen Zartheit und Farbenschwere vermittelnden Vorstellungen von einer zehnköpfigen Solistenschar, unterstützt von dem melodischen Wort verpflichteten Chören. Abbado und die Berliner Philharmoniker scheinen in der Ausklangsphase ihrer nicht immer friktionsfreien Beziehung eine Gesinnungsgemeinschaft geworden zu sein. Man hört aufeinander, akzeptiert das Gegebene und nimmt es zum Anlass, auch jene Wünsche zu befriedigen, die man musikwitternd erahnt.

Anders ist ein nicht durchgehend gelungenes Großprojekt wie das Faust-Szenario kaum glaubhaft zu übermitteln. Und unter solchen Umständen dürfen sich Thomas Quasthoff (Faust), Amanda Roocroft (Gretchen) oder Albert Dohmen (Mephisto) in eine Tragödie eingebunden fühlen, die an Expressivität das Äußerste fordert. Zum Erleben freigegeben also der ganze Faust nach Maßen Schumanns, in den sorgenden Händen Abbados aufgehoben; einen Abend später ein "Fäustchen" in Gestalt von Christian Thielemann.

Auch er hatte einen Wagner-Bezug parat, nämlich mit der Mendelssohnschen Reformationssinfonie (op. 107), in deren tastendem Beginn genau jenes Dresdner Amen zitiert wird, das im Parsifal für Weihe und für Erlösung bürgt. Diese von Thielemann und den Berlinern sehr abgestuft eingefädelte Passage legte den Verdacht nahe, es handelte sich bei dieser Dirigent-Orchester-Besetzung um eine florierende Allianz. Aber in allzu vielen motorischen Passagen irritierte Thielemann mit einer gewissen Leerläufigkeit des Bewegungsrepertoires, mit jungoberlehrerhaften Zeigefingerattacken.

In ihm steckt ein ganzer deutscher Faust, aber je mehr er möchte, desto weniger scheint er echten Einfluss zu gewinnen. Bei einem post-mahlerischen Satz wie Henzes Fraternité bleibt dies noch ohne starke Auswirkung, aber in den mobilen Stereotypien der Schumann-Sinfonien hat dies mobile Öde zur Folge.


Der Standard, 2.April 2002

Ostern - gestern, heute, (über)morgen

Salzburger Festspiele im sanften Umbruch


Peter Cossé

Salzburg - Es ist seit Jahrzehnten etwas Mondänes, etwa Überfestivalistisches um die Opern- und Konzertaufführungen im Namen Herbert von Karajans. Im Winter, wenn die Mozartwoche auf hohem bis höchstem Niveau zur musikalischen Volks- und Nobelbildung einlädt, spricht man - zu Recht - von kunstsinniger Intimität. Knapp zwei Monate später (wie immer auch die unstetigen Feiertage fallen) vermeint man ein durchaus kulturbeflissenes Publikum zu vermelden, aber auch einen Gutteil jener Klientel, die sich ein Festspiel gleichsam unter den lackierten Nagel reißt.

Nach einem letzten Beifall sind es entschieden zahlreichere Augenhörer als im Januar, die ohne jeden Zeit- und Informationsverlust ihr Handy einschalten und damit - ungewollt - bestätigen, dass sie doch nicht ganz zur besten Schicht gehören, nämlich nicht unerreichbar, sonder stets erreichbar, also abrufbar sind (und es auch sein wollen).

Genug der leisen Häme, denn Salzburgs Gäste sind ein treues, fast schon familiär verbündetes Publikum. Die Damen und Herren lassen Geld in den Kassen der Osterfestspiele, der Hotels und Restaurants, sie ärgern sich über Peter Steins Parsifal-Märchenstunden, sie bejubeln mit mancher ungeweinten Träne in den hörenden Augen den essenziell so ergiebigen Abgang Claudio Abbados - und sie sind gespannt auf die kommenden Rattle-Festspiele, deren künstlerische Wegmarken bis ins Jahr 2006 bereits umrissen sind.


Ausblick . . .

Rattle wird in Salzburg, da darf man sicher sein, alles andere als Darmstädter Ferienkurse oder Donaueschinger Musiktage installieren. Er wird der heutigen Musik - samt den auch heuer wieder effektiven Kontrapunkten - zu ihrem Recht verhelfen. Aber die bereits verratenen Vorhaben deuten nicht auf eine markante Umstrukturierung des Vorgegebenen, des Erprobten und überwiegend ja auch Bewährten hin.

Im kommenden Jahr plant Rattle eine abgespeckte, neu gelesene Fidelio-Deutung, wie sie dem Pariser Publikum kürzlich im Théâtre du Châtelet zur Begutachtung vorgestellt worden ist. Die stets reibungsvolle Kooperation mit den Sommerfestspielen ist bis 2005 festgeschrieben, ab dann wird es eine Allianz mit dem Festspiel in Aix-en-Provence geben, die mit einer Übernahme des Wagnerschen Rings an Ehrgeiz nichts zu wünschen übrig lässt.

Als Regisseur dieser Übernahmen wird der Direktor des Nationaltheaters von Straßburg genannt, Stephane Braunschweig. Im Vorfeld dieses bühnenorganisatorischen Gewaltakts ist von einer neuen Mozart-Così (2004) nach bildnerisch-szenischem Gusto der Gemahlen Ursel und Karl-Ernst Herrmann die Rede; für das Jahr 2005 wird eine Inszenierung von Brittens Peter Grimes versprochen.


. . . und Rückblick

Im Rückblick auf das kürzlich Gewesene und im interessierten Seitenblick auf die Kontrapunkte darf man die Saison 2002 als geglückt, als insgesamt informativ, vor allem als diskutabel bewerten. Diskutabel in Richtung divergenter Anschauungen und Anhörungen des Gebotenen, so wie es das vielstimmige Echo etwa auf Christian Thielemanns Dirigat im nationalen Blätterwald zeigte.

Die parallel laufenden Kontrapunkte mit neuer und mit alter (gleichwohl unerhört neuer) Musik waren einmal mehr das ästhetische Frischzellenelement für ein Osterfestspiel, das sich - insgesamt besehen - ganz sonderbar öffnend auf der Stelle bewegt. Die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker - in fast kompletter Neubesetzung - feierten dabei ihren verdienten 30. Geburtstag.

In enger zeitlicher Nachbarschaft wurde der Tiroler Komponist Johannes Maria Staud mit Preis und Ehre gewürdigt. Seine Miniaturen für Sopran und sechs Instrumente bekundeten ein gerütteltes Maß an Fantasie, an textkritischem und textliebendem Transpositionsvermögen - kurzum: ein Hochbegabter mit allen Möglichkeiten, sich meisterlich zu profilieren.

Dies und manches mehr - wie etwa das hochseriöse Gastspiel des Gustav Mahler Jugendorchesters unter der Leitung von Franz Welser-Möst - gibt Anlass zur Gewissheit, dass der scheidende Abbado seinem Berliner Nachfolger Simon Rattle etwas in die Hand gibt, das Bestand beweisen und Bestand haben wird.