SALZBURG 2002

Die Artikel der Presse über Parsifal (Salzburg 2002).

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Salzburg 2002

Premiere Kritiken (2)

Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.März 2002

"Parsifal" in Salzburg oder Im Alten hört man das Neue voraus

Die Musik ist im Musiktheater nicht alles: Claudio Abbado und Peter Stein siegen mit und scheitern am "Parsifal" bei den Salzburger Osterfestspielen

SALZBURG, 24. März 2002

Man solle vergessen, daß das Klavier Hämmerchen habe. Debussys Wunsch wird durch seine eigenen Welte-Mignon-Rollen-Aufnahmen nicht unbedingt bestätigt. Da hört man, bei aller klangtechnischen Unzulänglichkeit, einen doch eher scharf konturierten, rhythmisch distinkten, im Zweifelsfall sogar eher leicht perkussiv geprägten Klang. Was gilt - die Forderung oder das tönende "Vorbild"? Ein ähnliches Dilemma betrifft "Parsifal". Wagner schrieb ihn für das Bayreuther Festspielhaus mit seinem verdeckten Orchestergraben, dem "mystischen Abgrund", und in der Tat entspricht dessen weichzeichnerische Mischklang-Aura der Kunstreligion des späten Wagner. Doch ein Stachel bleibt: Entspricht das, was da berückend geheimnisvoll sich im magischen Klangraum ausbreitet, wirklich der Komplexität der Partituren? Der Konflikt ist also auch innerhalb der Wagner-Gemeinde: "Stimmung" oder "Struktur"? Wobei klar ist, daß solche Polarisierungen in ihrer Abstraktheit wenig nützen. Immerhin hat Pierre Boulez, alles andere als ein Nebel-Fan, 1966 in Bayreuth eben mit "Parsifal" debütiert. Und dabei eine verblüffende Erfahrung vermittelt: An die Stelle der breitgelagerten Statuarik des Altmeisters Hans Knappertsbusch trat die wenn auch viel fließendere Statik im Sinne Debussys: hell geäderte klangliche Schwebezustände, mitunter schier mobileartig. Die Gralshüter waren empört.

Ein Jahr später folgte die Kampfansage an Bayreuth in ganz anderem Stil. Karajan eröffnete die Salzburger Osterfestspiele mit der Absicht, einmal zu demonstrieren, was ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker in einem breiten, offenen Graben an Präsenz erreichen kann. Seit fünfunddreißig Jahren besteht das Salzburger Osterfest, und es mag kein Zufall sein, daß Claudio Abbado, Karajans Nachfolger, seine Ära nun mit "Parsifal" beendet. Bei aller Nähe zu Bruckner und besonders zu Mahler, auch zu "Elektra" und "Wozzeck", ist Abbado kein Wagnerianer. Zwar hat er in Wien "Lohengrin", in Salzburg "Tristan" dirigiert; aber als reflexhafte Selbstverständlichkeit gehört Wagner nicht in sein riesiges Repertoire. Mit gutem Grund verfährt er selektiv, dirigiert nur Werke, die ihn wirklich interessieren. Und da bedeutende Musik nicht selten ihr Janusköpfiges hat, auf Traditionen basiert, doch in die Zukunft weist, liegt ihm an deren Modernitäts-Potential, dem voraushörend Neuen im Alten.

Hatte Boulez verdeutlicht, wieviel von Debussys "Pelléas et Mélisande" schon in "Parsifal" steckt, so kann man dies selbstverständlich auch bei Abbado hören. Aber er dehnt den utopischen Horizont noch weiter, und die klangliche Prägnanz im Salzburger Großen Festspielhaus tut ein übriges, Abbados Intentionen zu verdeutlichen. Zumal die in diesem Raum stets heikle Tendenz übergroßer Lautstärke hier klug vermieden wird, die Textverständlichkeit meist vorbildlich ist.

Es gibt einen herrlichen Film Alexander Kluges, "Die Macht der Gefühle", Hommage an die Frankfurter Musiktheater-Ära Michael Gielens. Da sieht man anfangs die Frankfurter Skyline im morgendlichen Schein. Dazu ertönt der Beginn des "Parsifal" mit dem ganz unerhörten Mischklang von Oboe und "sehr zarter" Trompete, ein tönender Laser-Strahl, dessen "Futuristisches" erst im Lichte der Neuen Musik voll wirksam wird. Daran mußte man nun wieder denken. Natürlich erfindet auch Abbado die "Parsifal"-Partitur nicht neu; man soll Interpretation nicht überschätzen. Aber er hebt manche Züge ans Licht, die man geahnt, selten vernommen hat. So operiert er, über den Debussy-nahen Fluß der Gestalten hinaus, mit genau kalkulierten Klang-Farben-Flächen, die aber nicht einfach als Timbres gesetzt werden - sondern aus Einzel-Linien synthetisiert. Da spürt man die Erfahrungen Abbados etwa mit den vibrierenden Klangräumen von Ligetis "Atmosphères" oder "Lontano". Ungewohnt ist auch manche Detailschärfe. Die grimmigen Triller am Schluß des ersten Aktes hat man kaum je so schroff als Analogie zu denen von Brahms' d-Moll-Klavierkonzert gehört.

Auch wenn die Tempi flüssig, aber keineswegs rasant sind, opponiert er triftig dem Klischee, daß die "Parsifal"-Musik durchgängig langsam und feierlich sei oder zu sein habe. Vor allem die große Klingsor-Szene zu Beginn des zweiten Akts bürstet er erheblich gegen den Strich, macht aus ihr eine Art groteskes Scherzo; zumal er in Eike Wilm Schulte einen Klingsor hat, der nicht mit obligat dröhnendem Finsterlings-Baß paradiert, sondern mit ungewohnt hell-leichter Stimme die Skurrilität der Figur zutage fördert: ein Bruder des "Salome"-Herodes.

Zu Recht hat Adorno auf die Mahler-Antizipationen vor allem im dritten Akt hingewiesen. Hören kann man diese selten. Abbado indes gelingt zwingend der Brückenschlag von Spätstil zu Spätstil, vor allem zu den grell-fahlen Gesten-Klängen des Kopfsatzes der Neunten und des Fis-Dur-Adagios der Zehnten. In einigen fast brutalen Massierungen und Schärfen, tönenden Darstellungen des Schrecklichen, spürt man die Affinität Abbados zur Musik nicht nur Alban Bergs, sondern auch Wolfgang Rihms. Und wieder erlebte man, daß Wagners "schwärzeste" Musik sich nicht in der "Götterdämmerung" findet, sondern in den Verwandlungs-Musiken und Amfortaszenen: reiner Horror, der auch durchs noch so Heilighafte nicht verdrängt werden kann. Zumal Abbados Auseinander-Driften-Lassen der Linien im Schluß triftig auf die These verweist, daß "Parsifal" nicht wirklich ans Ende gekommen ist.

"Zum Raum wird hier die Zeit": Die große menschlich-politisch-ästhetische Bezugsperson war für Abbado über mehr als dreißig Jahre Luigi Nono, dessen Spätwerk immer dringlicher der Klang-Bewegung im Raum verpflichtet war. Deren Keime liegen nicht zuletzt im "Parsifal". Ebendort ortet Abbado sie auch als utopisches Potential. Die in drei Etagen gestaffelten Grals-Tempel-Chöre ergaben hier nun tatsächlich eine Art vertikaler Stereophonie. Daß dieser Eindruck zustande kam, verdankt sich einer Reminiszenz. Für die Uraufführungen von Nonos "Prometeo" in Venedig und Mailand hatte der Architekt Renzo Piano eine hölzerne Bühnen-"Arche" gebaut, die mancherlei Klang-Migrationen ermöglichte.

Daß ähnliche akustische Konstellationen nun assoziierbar waren, war einer der wenigen Vorzüge von Peter Steins Inszenierung. Für ihn schließt sich ein Kreis: 1976 hatte er mit "Rheingold" in Paris als Opernregisseur debütiert, danach wegen des Metropolen-Star-Wahns entnervt gepaßt. Im walisischen Cardiff fand er zur Oper zurück, machte sogar mit Boulez "Pelléas", später mit ihm in Amsterdam "Moses und Aron", in Salzburg mit Abbado "Wozzeck" und "Simon Boccanegra". Stein hat ein Problem, das des Renegaten: Vom Protagonisten des 68er-Theaters hat er sich zum Klassizisten gewandelt, bis hin zur Überzeugung, es reiche, Texte möglichst vollständig und getreulich "vom Blatt" zu inszenieren. Und "Konvention" sei kein Schimpfwort. Wenn Stein nun proklamiert, "autorgetreu" nach Text und Musik vorgehen zu wollen, dann ist dies legitim, doch das Ergebnis spricht nicht dafür. Schon die Idee, den italienischen Maler Gianni Dessi mit dem Bühnenbild zu beauftragen, erwies sich als wenig glücklich, zumal er mit der heiklen Breitest-Bühne nichts anfangen konnte. Der stilisierte Zauberwald des Beginns mochte noch angehen, doch die "Verwandlung" unterblieb. Der Gralstempel in Form zweier symmetrischer Holzkästen schien einer schwedischen Möbelfirma entlehnt, und die Aufzüge der Gralsritter und Knappen lieferten besten Nazarener-Kitsch. Ob der Leipziger Wagner am höchsten protestantischen Karfreitag die Weihrauchfaß schwingenden Knäpplein goutiert hätte?

Allzuviel ist statuarisch unbeholfen: Das Umherstapfen von Parsifal und Kundry im Taxus-Irrgärtlein etwa, Klingsors Speerwurf ist ein technisches Debakel. Galt Stein als Ästhetizist und Perfektionist, so fragt man sich hier: Dilettantismus, Lustlosigkeit oder zynische Pseudo-Parodie. Es hat ab 1980 manch suggestive "Parsifal"-Interpretation gegeben, Peter Steins Version gehört nicht dazu. Er wird sich überlegen müssen, was er mit dem Theater will. Die Sänger, regielich wenig gestützt, bewährten sich: Thomas Moser mit den tenoralen Parsifal-Facetten, Albert Dohmen mit mittlerem Amfortas-Leidensdruck, Hans Tschammer mit Gurnemanz-Würde, Violeta Urmana als Kundry-Doppelwesen. Musikalisch war die Aufführung seriös bis grandios. Musiktheater aber hat noch andere Aufgaben.

GERHARD R. KOCH